Ab 2025 wird auch in Österreich ein Pfand auf Plastikflaschen und Getränkedosen eingeführt. Und obwohl es dieses Pfandsystem seit 2003 in Deutschland gibt, behaupten Österreichs Würstelstandler: „Das wird uns umbringen!“ Wieso das nicht passieren wird, erklärt Christian Abl, der Österreich-Geschäftsführer des international aktiven Sammel- und Verwertungsunternehmens „Reclay Systems“ im Gespräch mit der oekostrom AG.
Herr Abl, was genau tun Sie und ihr Unternehmen?
Ich bin in Österreich der Geschäftsführer des Sammel- und Verwertungsunternehmens „Reclay Systems“ und für den Geschäftsbereich internationales Recycling der gesamten Unternehmensgruppe verantwortlich. Was abstrakt klingt, ist in seinen Grundzügen einfach: Wir organisieren das, wofür Produzenten im Rahmen der Produzentenverantwortung bezahlen, damit die gesetzlichen Quoten für Entsorgung von Verpackungen, Batterien, Elektroaltgeräten und ähnlichen Produkten und Stoffen erfüllt werden können. Wir betreiben solche Systeme in ganz Europa, aber auch in Nordamerika, in Kanada. Meine Aufgabe ist der Recycling Part: Ich kümmere mich um all das, was passiert, wenn sich Konsument:innen oder Gewerbebetriebe der Verpackungen oder anderer Materialien entledigen, die einer Weiterverwertung, einem Kreislauf, zugeführt werden sollen. Konkret: Wo Sie und ich aufeinandertreffen ist etwa bei der gelben Tonne oder dem gelben Sack.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden sind Sie durch einen Kommentar im Standard im Sommer. Da haben Sie sich mit den Würstelstandlern des Landes angelegt. Was ist da passiert?
Wir glauben, was Recycling betrifft, in Österreich in der Komfortzone zu sein. Ich behaupte aber: Wir klopfen uns da selbst auf die Schultern und sind Selbstbeweihräucherer. Wir werfen uns vermeintlich supergute Zahlen um die Ohren und betonen, wie toll wir sind.
Tatsächlich ist Österreich im europäischen Recycling-Vergleich bestenfalls im Mittelfeld, eher im unteren Drittel.
Christian Abl
Österreich-Geschäftsführer Reclay SystemsJa, wir können Papier gut recyceln, weil die Papierindustrie vom Waldreichtum profitiert. Beim Kunststoffrecycling schaut das ganz anders aus. Dabei, Kunststoff wieder in den Kreislauf hineinzubekommen, gibt es sehr viel Luft nach oben: Plastikflaschen etwa werden in vielen Ländern über Pfandsysteme auf sehr hohem Level recycelt. In Deutschland gibt es das seit über 20 Jahren – und es funktioniert. Aber jetzt, wo das endlich auch in Österreich passieren soll, behaupten die Würstelstandbetreiber, dass das Einwegflaschenpfand ihren Tod bedeutet. Das habe ich angesprochen – und das hat Wellen geschlagen.
Was genau ist da der Plan – und was ist passiert?
Österreich ist spät dran. Deshalb gibt es einen straffen Zeitplan: 2023 wurde beschlossen, dass es ab 2025 für Einweggebinde ein verpflichtendes Pfand geben wird. Alle, die Flaschen und Aludosen abgeben, müssen sie wieder zurücknehmen. In Deutschland, wo das Pfand 2003 eingeführt wurde – hat das nicht nur die Mehrweg- und Recyclingquoten massiv erhöht, sondern auch die Reinigungskosten der Kommunen und Verkehrsbetriebe um bis zu einem Drittel reduziert. Es gibt also Erfahrungswerte. Auch den, dass dort keineswegs das große Imbissstände-Sterben stattgefunden hat. Aber genau das behaupten die Würstelstände in Österreich nun – und wollen deshalb aus diesem System ausgenommen werden.
Wo ist das Problem?
Die Würstelstände fragen „Wo sollen wir das alles lagern?“ – und sagen, dass sie dafür nicht genügend Platz dafür haben.
Das klingt nachvollziehbar.
Ja. Nur gibt es eben vergleichbare Länder, in denen das sehr wohl geht. Deutschland, die Niederlanden – seit zwei Jahren in der Slowakei: Dort funktioniert das ohne Probleme. Wir haben in Wien eine ausgeprägte Würstelstandkultur – und das ist gut so. Und niemand stellt in Abrede, dass die Rücknahme von Gebinden eine Herausforderung ist. So wie jede neue Aufgabe.
Allerdings ist sie das nicht nur für die Würstelstände, sondern auch für kleine Läden und Geschäfte – insbesondere am Land. Die sind genauso betroffen, weil sie nun Räumlichkeiten und Kapazitäten für die Rücknahme bereitstellen müssen. Aber die bereiten sich eben vor – auch, weil sie sehen, dass es anderswo funktioniert.
Mit dem Argument, die kleinen Läden schützen zu wollen, haben früher übrigens just die großen Handelsketten Stimmung gegen Mehrwegsysteme gemacht. So als wäre für den Tod der kleinen Läden die Pfandflasche und nicht der überdimensionierte Ketten-Supermarkt beim Kreisverkehr vor dem Ort verantwortlich. Heute sind sie dafür.
Bleiben wir beim Würstelstand.
Ja, gerne. Die Herausforderung ist da, gar keine Frage: Die müssen Platz haben – oder ihn schaffen. Der Würstelstand muss jetzt nämlich etwas tun, was er früher nie gemacht hat: Dosen und Flaschen zurücknehmen – und nicht einfach im Restmüll entsorgen. Im besten Fall, nach Fraktionen sortiert. Das ist tatsächlich eine logistische Herausforderung. Allen ist klar: So wie das heute noch gehandhabt wird, wird das nicht mehr gehen.
Aus kreislaufwirtschaftlichen und umweltschützerischen Gesichtspunkten ist das gut. Das ist ja genau das Ziel: Sicher zu stellen, dass Flaschen und Dosen einem Recycling zugeführt werden. Der Würstelstand muss jetzt das, was er über die Straße verkauft auch wieder zurücknehmen. Wenn er etwas verkauft, muss er also auch den Platz dafür haben, es zurückzunehmen. Aber den hatte er vor dem Verkauf ja auch.
Man muss aber kein Lebensmittelexperte sein, um zu verstehen, dass ein verschlossenes, versiegeltes Gebinde anders gelagert werden kann als ein offenes, ungesäubertes Leeres.
Selbstverständlich! Natürlich besteht da Handlungsbedarf. Man kann nicht die Kubikmeter, die man als Lager hat, eins zu eins weiterverwenden. Da muss man entsprechend adaptieren und abgrenzen. Dass das auf engem Raum schwierig sein kann, ist unbestritten.
Das Spannende daran ist aber – und das wollte ich antriggern – dass man das auch als Chance sehen kann. Als Chance, grundlegend Neues zu machen. Etwa weil man der Bevölkerung auch außerhalb der Öffnungszeiten des Handels die Möglichkeit geben kann, Pfandgut zu retournieren. Da könnten Würstelstände oder Automaten- oder Tankstellen und andere Units, die Tag und Nacht offen sind, sogar eigene Geschäftsmodelle daraus entwickeln. Etwa indem sie sagt „bring mir deine Pfandflasche“ mit dem Hintergedanken, dass der, der etwas vorbeibringt auch etwas beim Würstelstand konsumiert. So funktionieren ja beispielsweise die Paketshops bei uns.
Wir wissen aus Deutschland, dass Leute oft sagen „okay, die 25 Cent sind mir heute egal“ und Pfandflaschen stehen- oder zurücklassen: Die werden dann von anderen zurückgegeben – auch das ist heute ein, wenn auch kleines, Geschäftsmodell. Und in den USA haben sich über das etwas anders als europäische Pfandsysteme geregelte „Bottle Bill“-System Kleinhändler darauf fokussiert, neben ihrem Kerngeschäft, Pfandflaschen zurückzunehmen – und daraus Umsatz zu schaffen. Wieder: Ähnlich wie Paketshops bei uns.
Ich möchte einfach dazu anregen, das Konzept der Kreislaufwirtschaft dynamischer zu denken: Die Vorgabe, den Plastikmüllberg zu reduzieren, bietet auch Chancen.
Christian Abl
Österreich-Geschäftsführer Reclay SystemsWie sieht die Resonanz darauf aus?
Ich kämpfe gegen Windmühlen. Es wäre spannend gewesen, das frischer anzugehen – so wie man es in Deutschland seit 20 Jahren tut. Aber das ist nicht gelungen: wir machen in Österreich ein Uralt-Pfand. Aber: zumindest machen wir eines!
Kommen wir zum Würstelstandler-Protest zurück: Da gibt es etwas, das in vielen Ländern seit Jahrzehnten klaglos funktioniert – aber wenn man es hierzulande umsetzen will, rufen alle „Weltuntergang“! Das klingt sehr österreichisch.
Fairerweise: Diese Angst, dass alles, was neu ist, den wirtschaftlichen Untergang bedeutet, ist nicht auf Österreich beschränkt. Ich habe einige Jahre in Ungarn und der Slowakei gearbeitet: Das ist es oft die gleiche Geschichte. Man steht Dingen, an die man nicht gewöhnt ist, grundsätzlich kritisch bis negativ gegenüber. Das ist nicht nur beim Thema Recycling so: Ich erinnere an die Diskussionen, als die Mariahilfer Straße Begegnungs- und Fußgängerzone wurde oder die Gastro-Rauchverbots-Einführung. Und bei der Umgestaltung der Praterstraße hieß es zuletzt ja auch: Niemand wird liefern können, niemand in die Geschäfte kommen – und so weiter. Weil da ein Radweg gebaut wurde. Ich bin kein Psychologe, um das analysieren zu können, aber wir kennen das aus vielen Bereichen.
Alle die zitierten Beispiele zeigen, dass die angesagte Apokalypse ausbleibt. Mehr noch: Die Wiener Kärntner Straße und den Graben mit Autos will keiner zurück. Jüngere Menschen können sich gar nicht mehr vorstellen, dass in Kaffeehäusern Rauchschwaden normal waren. Wird das beim Pfand auch so sein, dass sich in vier Jahren niemand den heutigen Zustand zurückwünscht?
Ich bezweifle, dass es überhaupt so lange dauern wird: Die Konsument:innen wollen das Pfandsystem! Und jeder sieht, dass es anderswo gut funktioniert.
Warum gibt es diese Debatte dann überhaupt?
Weil sich die Politik oft nicht traut, Bürger:innen reinen Wein einzuschenken. Man sagt nicht „wir wollen zu diesem oder jenem Ergebnis kommen und deshalb wird das jetzt so gemacht“. Aus Angst vor genau dieser Reaktion, der Angst Vieler, dass Anderes auf alle Fälle zunächst schlechter ist, wagt man sich nicht an den großen Move, sondern laviert und druckst herum. Aber genau das bestärkt dann wieder diesen Grundwiderstand. Institutionen, die ihre Aufgabe darin sehen, Bestehendes zu bewahren – namentlich die Wirtschaftskammer – tun oft dann das Ihre dazu, solche Ängste und Widerstände nicht abzubauen, sondern Befürchtungen auch noch zu verfestigen.
Das ändert aber nichts daran, dass das Einwegpfand 2025 kommen wird – und spätestens Ende des nächsten Jahres werden wir alle ganz normal damit leben.
Auch die Würstelstände?
Ja, gerade die. Denn die werden sehr rasch erkennen, dass die Angst, in Pfandflaschen zu ertrinken, unbegründet ist: Es wird oft behauptet, dass sie alles, was man zu ihnen bringt, übernehmen müssen. Das stimmt so nicht: Sie müssen nur zurücknehmen, was sie verkaufen. Und es ist schlicht lebensfremd, anzunehmen, dass jemand mit Bergen von Leergut zum Würstelstand geht, damit der in Plastikflaschen versinkt.
Es wäre ja auch vorstellbar, dass Würstelstände, die die Rücknahme logistisch wirklich nicht schaffen, einen kleinen Obolus zahlen und auf die Rücknahme verzichten: Der Konsument wird seine Dose dann eben woanders zurückgeben. Das ist möglich und nicht besonders kostspielig. Ich bin davon überzeugt, dass genau das passieren wird: Jeder Würstelstand, jeder Kebabstand wird entweder sehr rasch ein kleines Geschäftsmodell daraus entwickeln, oder eine Möglichkeit finden, sich mit der Situation zu arrangieren: Das große Würstelstandsterben wird nicht eintreten.
Die Konsument:innen werden das, so wie in allen anderen Ländern, sehr rasch annehmen und nutzen. Das wird diesem Einwegpfandsystem zu jenem Erfolg verhelfen, der auch das politische und ökologische Ziele ist. Das bleibt da ja immer ausgeblendet!
Fotocredit: (c) Raan Gruppe
In der Diskussion geht unter, dass dieses Pfand nicht zum Spaß eingeführt wird, sondern um Rohstoffe nicht im Restmüll landen zu lassen. Darum, den Plastikmüllberg nicht immer weiter wachsen zu lassen: Es geht um Kreislaufwirtschaft – und die ist mehr als reines Ressourcenmanagement, sondern vor allem angewandter Umwelt- und auch Klimaschutz.
Christian Abl
Österreich-Geschäftsführer Reclay Systems
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