Bikeurlaub boomt. Aber alle Welt denkt da an „Malle“, Gran Canaria oder Istrien. Doch während niemand etwas dabei findet, für ein paar Tage Wellness ein Hotel vor der Haustür zu buchen, ist das bei Rad-(Kurz)Urlauben anders. Dabei ist gerade bei Nah-Reisen die Anreise mit Bahn und Rad super unkompliziert und leistbar: Die Rad-Mitnahme im Zug kostet zwei Euro – und funktioniert auf der Kurzstrecke klaglos. 

Natürlich hätten wir am gleichen Tag auch wieder heimfahren können. Und am nächsten Tag dann wieder „hinauf“: Eine Stunde in der S-Bahn ist nicht wirklich lang. Und nach der Heimreise, wieder in Wien die letzten paar Kilometer nach Hause am Rad – das hätten wir auch noch geschafft (oder wir hätten die U-Bahn genommen.) Aber in Retz zu bleiben war trotzdem richtig. Goldrichtig. So wurde aus einem Ausflug nämlich ein Urlaub. Ein echter, vollwertiger Radurlaub.

Weil wir am nächsten Tag noch eine Runde dranhängten. Und am übernächsten noch eine: Im Kalender war ein Slot mit zweieinhalb freien Tagen aufgepoppt. Wir wollten Rad fahren. Straße und Gravel. Gemütlich. Schön. Ohne Anreise- und Logistik-Aufwand. Während wir uns da Runden zwischen Krems und Hainburg zwischen Weinviertel und Bratislava anschauten, tauchte irgendwann diese Idee auf: Was ändert sich, wenn wir die „Homebase“ zwar verlegen – aber eben nur ein bisserl?

Im Kalender war ein Slot mit zweieinhalb freien Tagen aufgepoppt. Wir wollten Rad fahren. Straße und Gravel. Gemütlich. Schön. Ohne Anreise- und Logistik-Aufwand.

Tom Rottenberg

Früher wären wir für drei Tage Rennrad ohne mit der Wimper zu zucken nach Gran Canaria geflogen. Oder nach Mallorca. Oder hätten uns ins Auto gesetzt, um in Istrien, in der Toskana oder irgendwo in Norditalien Rad zu fahren. Das geht gut, schnell, einfach und problemlos. Ist von den Touristikern bis ins Detail durchorganisiert – kostet nicht wirklich viel. Und ist wunderschön.

Nur ist „früher“ für uns vorbei. Obwohl der Radreise-Markt für ein Publikum, das eben NICHT als Bikepacker tausende Kilometer abspult und dann am Campingplatz und im Supermarkt nur ein bisserl Geld lässt, wächst und boomt. Gewaltig boomt.

Zielgruppe sind da Menschen wie wir: Mobiler, mittelalter Mittelstand. Mit genügend Geld und Zeit, mit Lust am Reisen – und Spaß an gut dosiertem Sport. Auch abseits des Urlaubes: Egal ob am E-Bike oder am Tourenrad entlang des Donauradweges. Oder am Mountain – oder Gravelbike auf den Pisten im Wienerwald oder dem weitläufigen, längst rad-kartografierten Feld- und Schotterwegenetzwerk zwischen Waldviertel und Hainburg, Eisenstadt und Wiener Neustadt. Oder am Rennrad auf (hoffentlich) wenig (auto)-befahreneren Landesstraßen: Österreich ist längst – auch in der Freizeit – Radland. Doch wenn diese Menschen wie wir gerne und oft daheim Rad fahren: Ein mehrtägiger Radurlaub vor der Haustüre ist irgendwie kein Thema.

Wieso eigentlich? Denn der Wellness-Kurzurlaub in Bad-Wasauchimmer mit maximal zwei Stunden Anreisezeit ist rasch am Radar. Aber die Zwei-Nächte-Rad-Stadtflucht so gut wie nie. Die kurze Umfrage im Bekanntenkreis bringt eine vermutlich doch repräsentative Antwort: Mit dem Rad verreisen ist mühsam. Das Fahrrad ist irgendwie immer im Weg.

Nur: Ist dem wirklich so? Das Erstaunliche: Als am wenigsten „zaaach“ gilt der Radurlaub per Flugzeug. Weil es an angesagten Rad-Zielorten Radverleihe mit einer Auswahl gibt, bei der die meisten Radshops hierzulande auch im Verkauf nicht mitkommen. Obendrein kostet die Miete weniger, als der „Flightcase“ und der Sportgepäck-Aufschlag,

Auto? Ja klar, am Radträger. Oder – mit umgelegter Sitzbank – drinnen. Funktioniert, erhöht aber den Spritverbrauch signifikant – oder macht aus einem Familienfahrzeug einen Zweisitzer für geschickte Schrauben:innen, die Räder vor dem Einräumen dann auch putzen. Abgesehen davon, dass immer mehr Städter:innen keinen (oder keinen für Räder kompatiblen) PKW mehr haben: Wer braucht sowas im urbanen (!) Alltag?

Bleibt die Bahn. Zusatzfrage: „welche“? Denn wer das Rad im Railjet mitnehmen möchte, sollte nicht kurzfristige planen: Die wenigen Rad-Abstellplätze sind dort oft Monate im Voraus reserviert. Wer beim Umsteigen den Anschluss versäumt, kann – im Wortsinn – auf der Strecke bleiben. Kurzfristig mit dem Rad im Zug weit weg zu fahren, will wohl überlegt sein.

Ganz im Gegensatz zur Kurzstrecke: Dort darf man – von Ausnahmen abgesehen – das Rad immer mitnehmen. Auch wenn es Obergrenzen gibt, geht es sich in der Regel (außer man möchte unbedingt im Hochsommer am Samstag um 17 Uhr von Neusiedl am See zum Wiener Hauptbahnhof) meist aus. Erst recht, wenn man nicht zur Stoßzeit in überfüllte Pendlerzüge will.

oekostrom AG: Eine erhöhte Ansicht eines malerischen Stadtplatzes mit farbenfrohen Gebäuden, Kopfsteinpflasterstraßen und ein paar geparkten Autos. Im Hintergrund sind grüne Hügel und ein blauer Himmel mit vereinzelten Wolken zu sehen.

Wer also – zum Beispiel – an einem Mittwoch gegen elf von Wien nach Retz will, muss nur eines tun: Via ÖBB-App den Bike-Aufschlag bezahlen. Zwei Euro. (Wir haben Klimatickets.) Dann zieht das Weinviertel am Fenster vorbei, bis man nach einer Stunde in Retz aus- und aufsteigt – und losfährt.

Denn Touren gibt es hier en masse. In jeder Länge, in jeder Schwierigkeitsstufe. Mit jedem – wirklich jedem Untergrund – und nach Belieben mit keinen oder vielen Höhenmetern. Fast immer abseits des dichten Verkehrs: Auf asphaltierten, gut ausgeschilderten Radwegen oder Nebenstraßen, die schier endlos zwischen Feldern und Wäldern hindurchführen. Die über sanfte Hügel ebenso wie – wenn man das will – steile Serpentinen mäandern. Die an Schlössern und Burgen, Klöstern und Marterln vorbei in und durch Nationalparks führen. Und einen, wenn man will, auch über die (grüne) Grenze nach Tschechien bringen: Plötzlich ist da das fast kitschige Märchenschloss Vranov. Gleich dahinter erstreckt sich ein (Stau)See. Ideal zum Baden, Schifferlfahren – oder für eine Pause: Was erst hier, in Tschechien ins Auge sticht ist, dass in Österreich nicht so gut wie alle Gast- und Kaufhäuser in den Ortschaften geschlossen haben. Sogar viele im Kartenmaterial als „Radlerrast“ bezeichnete Betriebe sind zu. Kein Wunder: Es ist – obwohl Sommer – kaum wer unterwegs.

Hier, in Tschechien ist das anders. Ganz anders: Noch im kleinsten Dorf sogar bei der malerischen, eigentlich abgelegenen Hängebrücke im Nationalpark Podyji, gibt es zumindest Imbissstände. Es wimmelt vor Rad-Tourist:innen: Während das Stift Geras in Österreich während der Woche ebenso geschlossen ist wie manches Schloss, sind vor Vranov die Radständer voll. Kinder mit Helm am Kopf schlecken Eis, Erwachsene (den Helm an der Sessellehne) warten auf Handfesteres. Und alle Hotels bewerben sich selbst als Rad-Hotels.

Aber kaum ist man – etwa am heute zum Glück fast grotesk-grimmig wirkenden ehemaligen Grenzbunker von Satov vorbei – wieder in Österreich, rollt man wieder alleine: Wie malerisch schön der Turrini-Weg (der Schriftsteller Peter Turins lebt und arbeitet tatsächlich in einem Haus in dieser Kellergasse) ist, weiß niemand. Dabei kann die Fahrt durch die Sonnenblumenfelder mit Blick auf Retz im späten Nachmittagssonnenlicht mit jeder Radelei durch französische Lavendelfelder locker mithalten.

Dabei kann die Fahrt durch die Sonnenblumenfelder mit Blick auf Retz im späten Nachmittagssonnenlicht mit jeder Radelei durch französische Lavendelfelder locker mithalten.

Tom Rottenberg

Wie eingangs erwähnt: Natürlich könnten wir uns jetzt in den Zug nach Wien setzen. Daheim duschen, essen und im eigenen Bett schlafen. Und am nächsten Morgen überlegen, ob und wo wir heute fahren. Wir blieben aber in Retz. Quartierten uns am mittelalterlichen Hauptplatz im frisch eröffneten „Sgrafit’“-Hotel (benannt nach dem mittelalterlichen Bürgerhaus, in dem es liegt) ein, ließen unsere Räder im „Sgrafit“-Bike-Laden servicieren – und genossen am nächsten Morgen das Frühstück auf der Hoteldachterrasse: Der Hammer-Fernblick machte natürlich mehr Lust als „komoot“ oder jede andere Routen-Planungs-App. Und ließ uns übermütig werden ließ: 120? Nein – 150 Kilometer! Die Landschaft gibt es her. Und im Urlaub darf man auch ein wenig übertreiben. Auch wenn der nur zwei Nächte kurz ist, vor der Haustür stattfindet, die Anreise gerade zwei Euro extra kostet – und wir genauso gut am Abend noch hätten heimfahren können.

Nur: dann wäre das ein Ausflug gewesen. So aber war es eben ein Urlaub. Mit allem, was Urlaub ausmacht. Dazu gehört auch ein Vorsatz: Uns solche Rad-Kurzurlaube mit der Bahn öfter zu gönnen.

(Transparenz-Hinweis: Sgrafitbikes half bei der Routenplanung, das Sgrafithstel gab einen – kleinen – Preisnachlass.)