In Skandinavien schon längst etabliert, hierzulande aber noch fast unbekannt: „Plogger*innen“ kombinieren Laufen mit dem Einsammeln von Müll entlang der Strecke. In Österreich versuchen die Green Heroes Austria auf diese Art Bewusstsein für Abfallvermeidung im Alltag und im öffentlichen Raum zu schaffen und erreichen damit ganz neue Zielgruppen. Tom Rottenberg sprach mit Green Heroes Austria-Gründerin Elizabeth Toth.

Elizabeth, du bist Gründerin von Green Heroes Austria – einer NGO, die nachhaltiges Abfallwirtschaften und -sammeln unterstützt und fördert. Wer seid ihr – und was tut ihr?

Wir haben zum einen Abfallvermeidung im Fokus, aber auch die richtige Entsorgung. Vor allem aber versuchen wir, das Bewusstsein für Abfälle aller Art zu schärfen, indem wir sogenannte „Clean up“-Events machen. „Plogging“ beispielsweise: Das ist eine Mischung aus Laufen und Müllsammeln. Meist läuft man eine Strecke in die eine Richtung – und sammelt am Rückweg Müll ein. Es geht bei uns um ein Dreieck: Man tut der Umwelt etwas Gutes, schützt Tiere vor Abfall und bewegt sich, tut also dem eigenen Körper auch Gutes. Das ist in Skandinavien sehr bekannt, in Österreich waren wird damit aber die Ersten.

Wir kombinieren Sport mit Cleanups: Laufen, aber auch Yoga.

Oder wir machen ganz normale Cleanups, wo man einfach Müll sammeln geht.

Seit wann gibt es euch?

Seit 2018, da habe ich Green Heroes Austria gegründet – und wir haben auch den „World Plogging Day“ (4. Samstag im April) ins Leben gerufen. Heuer haben wir an diesem Tag auf einer nur 5 Kilometer langen Strecke an der Neuen Donau über 40 Kilo Flaschen und Verpackungen eingesammelt – und über 2500 Zigarettenstummel. Obwohl die Stadt dort ohnehin regelmäßig putzt. Mittlerweile gibt es die Green Heroes auch schon in anderen Ländern, etwa in Bangladesch, in Rumänien, in der Türkei oder in Peru.

Wie kam es dazu?

Begonnen hat es, als ich 2017 auf einer Friedenskonferenz in Malaysia war. Dort erfuhr ich vom „World Cleanup Day“ ein Tag, an dem Leute weltweit gemeinsam Müll einsammeln gehen – und ich habe mir gedacht: Super, das möchte ich auch in Österreich machen. Ich wollte mich dann dem österreichischen Team anschließen. Nur: Es gab keines. Also habe ich es gegründet.

Müllsammeln gehen auch andere Gruppen. Seid ihr Konkurrenten oder eine Ergänzung? Gibt es Unterschiede?

Unser USP ist, dass wir nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern sagen, dass wir alle verantwortlich sind und auch alle zusammenarbeiten müssen. Wir arbeiten auch mit anderen Vereinen zusammen. Etwa für den „World Cleanup Day“ mit Sea Shepherd, Greenpeace oder Vier Pfoten. Wir versuchen gerade ein Netzwerk zu schaffen. Was uns von den anderen unterscheidet ist, dass wir die Cleanups mit Sport kombinieren. Genauso wie „Clean Yoga“, das kommt im Juni wieder: Eine Yogastunde – nach dem gemeinsamen Cleanup. Wir haben das auch schon mit Acrobatics gemacht. Wir versuchen immer Spaß dabei zu haben. Weil es doch cool ist, wenn man neue Leute kennenlernt und etwas für sich selbst tut.

Wer ist die Zielgruppe?

Wir haben gemerkt, dass man bei Aufräumaktionen meistens ältere Menschen oder Menschen mit Kindern anspricht. Wir aber wollen vor allem junge Menschen erreichen. Deswegen starten wir nicht um acht in der Früh, sondern gegen Mittag – sonst erreicht man niemanden, der am Vorabend aus war. Deshalb kommen zu uns mehr Jugendliche und Student*innen. Natürlich darf jeder mitmachen, aber die Jungen sind oft die, die dort, wo wir sammeln auch „littern“ – etwa, wenn man sich die Insel oder den Donaukanal anschaut.

Die Einen schmeißen weg, die anderen sammeln‘s ein: Ihr räumt hinter denen her, die sich dafür zu gut sind.

Genau deswegen ist mir Bewusstseinsbildung sehr wichtig. Vielen ist noch immer nicht bewusst, was sie da tun. Wenn ich Leuten sage, was in einem Zigarettenstummel drin ist, was man verursacht, wenn man den einfach wegwirft, habe ich noch niemanden getroffen, dem das egal war.

Es fehlt das Bewusstsein - obwohl sich einiges gerade ändert: Gruppen wie „Fridays for Future“ haben zu einem ganzheitlicheren Denken beigetragen.

„Littern“ hat aber auch viel mit dem kulturellen Hintergrund zu tun. Ich habe selbst Migrationshintergrund, peruanischen – bei uns wurde daheim kaum Müll getrennt. Das war kein Thema. Das hat nie jemand angesprochen. Genau dafür gibt es uns: Damit wir Bewusstsein schaffen.

Zurück zu euren Aktivitäten: Ihr sammelt gezielt „fraktioniert“ – Zigarettenstummel etwa.

Wir heben da schon auch andere Dinge auf. Gerade Flaschenverschlüsse oder Kronenkorken: Die verhaken sich oft richtig in der Erde, die muss man richtig rausziehen. Aber zu den Zigarettenstummeln: Wir wollen so ein Bewusstsein schaffen, wie viel wovon herumliegt. Bei Zigarettenstummeln ist es wichtig, darauf hinzuweisen, wie sehr die das Grundwasser vergiften. Es gibt unterschiedliche Zahlen in Studien: 40 Liter, 60 Liter – oder sogar etliche hundert Liter, die ein einzelner Zigarettenstummel verunreinigt. Wir sagen in unserer Kommunikation 60 Liter – aber um die Zahl geht es nicht: Es ist unbestritten, dass extrem viel Gift ausgewaschen wird und in den Umweltkreislauf kommt. Und wenn man einmal schaut, wie viele Zigarettenstummel herumliegen, ist das auch bei der niedrigstmöglichen Wassermenge erschreckend. Deshalb sagen wir: „Schaut wie viel da herumliegt“ – weil so viele Menschen mit „Trashblindness“, also Müllblindheit, herumlaufen.

Aber gerade Österreich, gerade Wien, ist da doch eh super.

Ja, das höre ich immer wieder. Wien gilt auch international als supersaubere Stadt. Man hört das auch von Wiener*innen. Das meine ich mit „Blindheit“: Die Wahrnehmung verändert sich, sobald man einmal bei einem Cleanup dabei war – oder Zigarettenstummel aufgesammelt hat. Ab diesem Moment sieht man sie überall. Natürlich kann man die Wiener Müllsituation nicht mit der in Indien. Aber wenn man bedenkt, was für einen tollen Job die MA 48 – oder die Reinigungs- und Entsorgungsdienste in Österreichs Gemeinden – macht, dann relativiert das das Bild: Trotzdem liegt da noch so viel herum. Dafür, wie gut das Abfallmanagement in Österreich ist, ist gerade das dann noch viel zu viel. Da fehlt das Bewusstsein – vielleicht gerade weil so viel und so gut geputzt wird. Ich denke mir oft, wie würden die Wiener*innen reagieren, wenn die MA 48 einmal eine Woche nicht hinter uns herräumt: Wer da einen kleinen Vorgeschmack haben will, der muss nur an einem Sonntagmorgen, richtig zeitig in der Früh, am Donaukanal, im Museumsquartier oder an anderen Ausgeh-Hotspots eine Runde drehen: Das ist Wahnsinn! Das gleicht dann durchaus Indien.

Kann man eigentlich sagen, was man wo findet?

In etwa. Am Donaukanal sind es nur Getränkeverpackungen und Zigarettenstummel. An der Donau, also an der „Neuen Donau“ und der Donauinsel, alles Mögliche. Vom Waschbecken bis zu Reifen und Unterwäsche: Alles, was man daheim haben kann, findet man an der Donau am Ufer oder im Wasser.

Du sagst, ihr zeigt nicht mit dem Finger auf andere Menschen. Aber tust du das nicht, wenn du sagst, dass die „Generation Party“ Müllberge zurücklässt? 

Ja, aber wir sagen nicht „die sind schlecht“. Stattdessen machen wir Nachtaktionen – etwa zwischen den Museen. Da sind wir durchgegangen, haben mit Kids gesprochen und ihnen Sackerln in die Hand gedrückt. Einige sind dann tatsächlich losgezogen und haben zumindest ihren eigenen Dreck weggeräumt.

Das müsste man vermutlich wöchentlich machen – aber ich gebe zu: Es ist für jemanden, der nicht mehr im Ausgeh-Alter ist, mühsam, sich mit alkoholisierten Jugendlichen zu unterhalten und zu versuchen, ihnen etwas mitzugeben. Aber es sind nicht nur die Partygeher*innen: Wenn man Skifahren geht, auf Autobahnparkplätzen – dort schaut es genauso aus. Es sind also wir alle.

Tut dir diese Unachtsamkeit weh?

Es gibt Moment, wo ich emotional werde. Weniger wegen der Menschen als wegen der Politik: Zigarettenstummel und Getränkeverpackungen sind die zwei Fraktionen, die wir am häufigsten finden. Und ich finde es richtig grauenhaft, wie da das Wirtschaftliche im Vordergrund steht – vor dem Wohl aller, vor dem Wohl unserer Umwelt.

Dass wir es nicht schaffen, ein Pfandsystem in Österreich einzuführen. Wir sind da das Schlusslicht – und es ist erstaunlich, dass man darüber überhaupt diskutieren muss.

Wir hatten das in den 1990er Jahren doch ohnehin. Daran erinnere ich mich. Dann wurde es abgeschafft – und jetzt muss darum gekämpft werden, damit das wieder eingeführt wird? Ernsthaft? Wir haben noch ein paar Jahre Zeit, bis dafür EU-Strafzahlungen vorgeschrieben sind – und bis dahin wird nichts kommen. Das sind Momente, wo ich mir manchmal denke, ich will nicht mehr. Ich habe keine Lust mehr. Die sehen das alle nicht – und wollen es auch nicht.

Freust du dich auf den Tag, an dem du bei einem Spaziergang keine einzige Bierdose, keinen Zigarettenstummel am Boden sehen wirst? Aber vor allem: Wird es diesen Tag geben?

Ich hoffe, dass ich ihn erleben werde und freue mich riesig darauf. Für mich wäre das wundervoll, wenn ich einmal spazieren gehe und nichts von alledem sehe – aber seit ich für das Thema sensibilisiert bin, habe ich das noch nicht erlebt.

Mehr Infos zum Plogging gibts unter: https://greenheroes.at/