Echte Orangen: Das sind griechische Orangen mit Ecken und Kanten oder vielmehr Früchte in verschiedenen Größen und Formen, mit Narben und Dellen. Das Schweizer Unternehmen gebana hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Orangen direkt von Landwirt*innen zu den Käufer*innen zu bringen und agiert so als weltweiter Ab-Hof-Verkauf. Ich habe mit Giorgos Stergiou, einem der Orangen-Bauern und Gründer von Anyfion, dem Exporteur in Griechenland und Philippe Schenkel, Head of Marketing bei gebana, über unsinnige Lebensmittelstandards, biologische Landwirtschaft und die Verschiebung der Machtverhältnisse im Welthandel gesprochen und, warum es dafür echte Orangen braucht.

Philippe, Giorgos, was hat es mit den echten Orangen auf sich?

Philippe: Durch die EU-Lebensmittelstandards dürfen nur Orangen in den Handel, die eine bestimmte Größe und Farbe haben. Dadurch wird im Durchschnitt 28 % der Orangenernte aussortiert. Das geht vor allem auf Kosten der Bauern und Bäuerinnen.

Giorgos: Die Orangen, die bei der Ernte nicht diesen Standards entsprechen, werden zu einem Großteil zu Saft verarbeitet. Hier bekommen wir Landwirt*innen nur 0,14 € pro Kilo Orange, während wir beim Export mit gebana zweieinhalb mal so viel erhalten. 10% des Verkaufspreises im gebana-Onlineshop fließen darüber hinaus zurück zu den Bauern und Bäuerinnen.

Philippe: Mit den echten Orangen zeigen wir die Unsinnigkeit dieser Standards auf und haben einen Weg gefunden, die griechischen Orangen zu exportieren, auch, wenn sie von den Normen abweichen.

Giorgos: Wir haben auch vorher echte Orangen produziert, wir konnten nur keine echten Orangen verkaufen. Dabei ändert sich mit Form und Größe nichts an der Qualität.

Echte Orangen. Foto: gebana

Eine Hand hält eine Orange aus einem Gebana Ab-Hof-Verkauf vor einem farbenfrohen Stapel Orangen.

Wie habt ihr es geschafft, den Export zu steigern und die Normen zu umgehen?

Philippe: Die Idee zu den echten Orangen kam von gebana, die Arbeit vor Ort hat Giorgos erledigt.

Giorgos: Mein erster Schritt ging zu den örtlichen Behörden, die mir klargemacht haben, dass sie keine Normen-Ausnahme machen können und mich zum griechischen Landwirtschaftsministerium geschickt haben. Dort habe ich dasselbe zu hören bekommen. Allerdings hat mir das Ministerium angeboten, ich solle mein Anliegen in einem Brief an die EU formulieren, und sie würden diesen weiterleiten.  Und das habe ich getan.

Philippe: Die EU hat uns quasi die Lücke im Gesetz selbst aufgezeigt: Versehen wir die Orangenkisten mit Stickern, auf denen “Zur Verarbeitung bestimmt” steht, dürfen wir sie exportieren, auch wenn sie nicht den Orangen-Standards entsprechen.

Giorgos: Für uns Bauern und Bäuerinnen heißt das eine Reduktion von 25 % auf 6 % der Früchte, die wir aussortieren müssen und natürlich eine bessere Bezahlung.

Philippe: Bei gebana gehen 10 % des Umsatzes am Ende der Saison zusätzlich an die Orangen-Produzent*innen. Das verdoppelt nicht nur die Bezahlung, auch das Risiko wird geteilt.

Giorgos: Für viele gab es zum ersten Mal die Möglichkeit sich einen Urlaub zu leisten. Auch das Einkommen der Arbeiter*innen wurde angehoben. Einige haben zum Beispiel zu Weihnachten doppelte Gehälter ausgezahlt. Das war wirklich einmalig!

Giorgos Stergiou (Foto: gebana)

Ein Mann mit Brille und Bart sowie einem blauen Hemd steht vor einem unscharfen Hintergrund mit Grünpflanzen und Lichtern, der an eine Ab-Hof-Verkauf-Kulisse erinnert.

Aber wenn ohne Standards alles besser wäre, warum gibt es die dann überhaupt?

Philippe: Von der Supermarkt-Seite verstehe ich es schon: Es erleichtert den Handel. Ich kann jederzeit und wie ich möchte Lieferant*innen wechseln, ohne, dass die Konsument*innen davon etwas merken, weil alles genormt ist. Es macht einfach keinen Unterschied, wo die Produkte herkommen. Das heißt aber auch, dass die Preise auf Seiten der Landwirt*innen gedrückt werden und es forciert eine industrialisierte Landwirtschaft, die zum Beispiel Pestizide einsetzen muss, damit die Früchte den optischen Standards entsprechen können.

Giorgos: Die Supermärkte wollen das Risiko minimieren, insbesondere bei frischen Produkten. Dabei ist es doch verrückt, dass ich, wenn ich in den Supermarkt gehe und mir Obst und Gemüse anschaue, alles standardisiert ist, wie Pasta oder Batterien. Pasta Nummer 6, Pasta Nummer 7, Orange Nummer 6, Orange Nummer 7. Die Standards versuchen aus Orangen Pasta zu machen und sie wollen, dass Konsument*innen kaufen und gehen, nicht probieren und fühlen.

Philippe: Tatsächlich müssen die Verbraucher*innen verlernen, was sie von den Supermärkten gelernt haben. Früchte sind kein Industrieprodukt und wachsen einfach unterschiedlich.

Dass die echten Orangen besonders sind, verstehe ich. Aber lassen sie sich wirklich fühlen?

Giorgos: Man kann Geschmack und Aroma nicht beschreiben, beschreiben kann man nur, was man sieht – wie Größe und Form eben. Aber Geschmack…Geschmack ist etwas, das du fühlst.

Philippe: Die echten Orangen sind der real Deal: Sie schmecken als würden sie frisch vom Baum kommen. Man stellt sich das Pflücken quasi vor, kann es fühlen.

Giorgos: Das merkt man auch am Feedback der Verbraucher*innen.

Philippe: Ja, tatsächlich ist die Wiederkaufrate, also wenn jemand die echten Orangen gekauft hat und sie dann wieder kauft, absolut verrückt und liegt bei fast 85 %. Die Menschen warten richtig auf die Saison. Sobald der Vorverkauf bei gebana startet, explodiert er gleich.

Was wir gerade außerdem sehen ist, dass andere unser Modell kopieren, was gut ist. Denn das Ziel ist es, den Welthandel zu verändern und vor allem das Leben der Landwirt*innen zu verbessern. Die echten Orangen sind dabei ein Showcase.

Was bedeutet das konkret für die Lebensrealität der Landwirt*innen?

Philippe: Es greift alles ineinander. Wir wollen den Bauern und Bäuerinnen ermöglichen, ein Einkommen zu generieren, von dem sie für die harte Arbeit leben können, gleichzeitig soll die biologische Landwirtschaft gefördert werden und dann wollen wir natürlich die Auswirkungen sehen: Von mehr Biodiversität, Menschen, die verstehen, was hinter den Standards steckt und eben auch Supermärkten, die anfangen das System zu hinterfragen.

Giorgos: Einen Teil haben wir mit den echten Orangen schon geschafft. Wir haben ein gutes Produkt zu einem fairen Preis. Wir selbst haben schon 1998 auf biologische Landwirtschaft umgestellt und damit waren wir die ersten. Meine Mutter und mein Vater wollten ihre eigene Gesundheit und derer um sich herum schützen…Im Umkreis sind zu der Zeit viele Landwirt*innen an Krebs gestorben. Um die biologische Landwirtschaft voranzutreiben und noch mehr echte Orangen zu verkaufen, haben wir ein zusätzliches Unternehmen gegründet, wo wir beraten und z.B. natürliche Düngemittel verkaufen. Wir versuchen gerade die Landwirt*innen noch mehr zu bündeln, damit nicht jede*r mit seinen/ihren Problemen allein da steht. Das ist unsere nächste Aufgabe.

gebana

Seit Anfang der 2000er agiert das Unternehmen als direkter weltweiter Ab-Hof-Verkauf und verbindet so Bauernfamilien und Konsument:innen direkt und damit ohne Zwischenhändler*innen. Gebana baut langfristige Beziehungen zu den lokalen Bauern und Bäuerinnen auf. Neben den Bio- und Fairtrade-Prämien teilt gebana seit 2018 10 % des Umsatzes mit allen direkten Bauernfamilien. Für die Produzent:innen heißt das ein sicheres Einkommen, für die Konsument:innen die Unterstützung eines faireren Handels mit transparenter und nachhaltiger Wertschöpfungskette. gebana kämpft also wirklich für eine Verschiebung der Machtverhältnisse im Welthandel hin zur schwächsten Position: den Bauern und Bäuerinnen.