Nach dem ersten wahrlich bewusstseinserheiternden Gespräch mit DDr. Alfred Kirchmayr gibt es heute ein weiteres und gleichermaßen spannendes bzw. anregendes Gespräch mit Psychotherapeuten und Meditationslehrer Dr. Alexander Knoll.

Auch dieses Mal darf ich mir wieder die Frechheit nehmen den Herrn Doktor zu duzen, weil sich unsere Wege das eine oder andere Mal bereits gekreuzt haben und stets seine Gedanken zum Thema „Meditation“ Nachhaltiges bei mir ausGEHlöst haben. Insofern möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, darauf warnend hinweisen, dass ein Kurzbesuch im Meditationszentrum „Meditas“ oder vielleicht sogar die folgenden Zeilen Ihr Leben auf den Kopf stellen könnten und Sie aufgrund dessen nach Marrakesch gehen werden. Sie werden sehen… oder eben vielleicht auch gehen oder – und das ist am wahrscheinlichsten – für eine nachhaltigere Energiezukunft sorgen.

ERNST Der Begriff „Meditation“ stammt aus dem lateinischen und bedeutet demzufolge „nachdenken, nachsinnen, überlegen“. Alexander, was löst das Eintauchen in die Stille in einem aus wissenschaftlicher Perspektive aus und warum empfiehlt es sich zu meditieren?

ALEXANDER Meditation ist eine neuronale und persönliche R-Evolution. In der meditativen Stille kann nämlich plötzlich bewusst werden, dass die überwiegend erfolgsversprechenden Alltagshandlungen und die eigenen Denkmuster, innere Wahrnehmungen von Projektionen und Täuschungen geschaffen haben und vieles automatisiert ablaufen lassen. Ein Horizont der Langsamkeit, des Nicht-Tuns und des Sein-Lassens kann so manches klären.

ERNST Wann sollte man besser nicht meditieren?

ALEXANDER Meditation braucht keine Rahmenbedingungen, kann in jeder Lebenslage vom Büro bis zur U-Bahn oder auch im Gehen durchgeführt werden. Wenn ich jedoch Schlafmangel habe oder gerade ganz dringend auf die Toilette muss, sollte ich dies vielleicht vorher erledigen und erst danach meditieren.

ERNST Wie ich auf deiner Homepage gelesen habe, verfolgst du es dich vegetarisch zu ernähren. Führst du deine Entscheidung dich fleischlos zu ernähren auf deine regelmäßige Praxis zurück?

ALEXANDER Meine Haltung ist, wie auch jene in unseren Meditationskursen, eine völlig undogmatische zum Thema Ernährung. Ich glaube nicht, dass vegetarische oder vegane Meditation ;) die Intensität erhöht oder ein Zeichen von persönlicher Entwicklung ist. In der Ernährung zählt nach meinem Gefühl das „Wie“ wesentlich mehr als das „Was“.

ERNST Was hältst du von der Idee das Schulfach „Achtsamkeit“ einzuführen oder noch besser: geführte Meditationen im Parlament anzubieten? Was würde dies auslösen? Abgesehen von der Einführung des Rauchverbots in Lokalen.

ALEXANDER Achtsamkeit bildet die ideale Basis zur Förderung einer Alternative zum verstandesgesteuerten Wahrnehmen unserer Umgebung, das beständig darauf zielt „gegen etwas“ zu sein und Defizite zu erkennen. Sowohl für Lehrer, Schüler als auch Parlamentarier wäre das r-evolutionierend.

ERNST Yoga oder Meditation bzw. Begriffe wie „Achtsamkeit“ haben den Mainstream schon längst erreicht. Gefühlt jede zweite Wienerin und jeder vierte Wiener übt zuhause fleißig den herabschauenden Hund, in der Tageszeitung „Heute“ gibt es Tipps zum Thema „Stress durch Meditation bewältigen“ nachzulesen, etc. Woher kommt das auf einmal? Und warum ist das Interesse mehr von weiblicher Warte aus gegeben?

ALEXANDER Besonders im europäischen Raum ist das „Schaffen“, also Erzeugen von Sichtbarem und Vorweisen von Leistung ein Erfolgskriterium. In Yoga oder Meditation wird aber nichts Sichtbares oder Vorweisbares geschaffen, also ein No-Go für manche Menschen, wenn nicht einmal Muskeln dabei entstehen. In den letzten Jahrzehnten konnte jedoch eine veränderte Haltung, eine Gegenbewegung entstehen und gerade in den Kursen von meditas.at ist meist sogar ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis.
Vielleicht geht das weibliche Geschlecht auch grundsätzlich fortschrittlicher mit dem Thema Erfolg um?

ERNST Firmen wie Google bieten Mitarbeitern Räumlichkeiten bzw. Kurse an, um ihnen die Kunst der Meditation näherzubringen bzw., wie diverse Medien kolportieren, um die Leistung zu steigern. Hierbei scheint also Meditation als Tool zur Optimierung eingesetzt zu werden. Wie siehst du das? Kann man hier überhaupt noch von Mediation sprechen?

ALEXANDER Motivation und Optimierung entspringen dem Verstandesdenken im Widerstand zu etwas zu sein und sich dadurch noch stärker profilieren zu können. Eigentlich ein Widerspruch zur Haltung bei der Meditation, die genau das entgegengesetzte Ziel verfolgt. Jedoch ist dieser erste Schritt ein wichtiges und möglichst freiwilliges Eingangstor in die Sphäre der meditativen Gelassenheit. Wenn die Mitarbeiter nach dem ersten Schritt nicht alleine gelassen werden, sondern durch Meditationskurse Begleitung erfahren, ist diese Haltung der Firmen, mit welchem Hintergedanken auch immer, zu unterstützen.

ERNST Was sollte das langfristige Ziel der regelmäßigen Meditation sein? -Kein genauerer, sensiblerer oder mitfühlenderer Mensch zu werden, sondern zu sein, um dem Titel „Homo sapiens“ gerecht zu werden? Dies würde automatisch bedeuten dem Allgemeinwohl bzw. dem Planeten Erde entsprechend gewissenhaft zu handeln?!

ALEXANDER Das „langfristige Ziel der Meditation“ ist eigentlich ein Oxymoron in sich. Ziel und Meditation stehen im Widerspruch zueinander. Wie schon vorab erwähnt – als Eingangsmotivation mag diese Haltung dienen, solange jedoch eine Zielorientierung der eigenen Wahrnehmung während der Meditation vorhanden ist, führt es nicht weiter. Das Daode Jing sagt im Kapitel 19: „Lass alles Streben und wirf die Weisheit weg – und alle sind ums Hundertfache reicher!“

Aus einer Metaebene betrachtet könnte es jedoch schon sein, dass Meditieren zu menschlicher Reife führt, vielleicht aber auch nicht. :)

ERNST Zum Abschluss würde ich es mir wünschen, dass du unseren Leserinnen und Lesern, eine einfache Übung zum zuhause nachmachen empfiehlst!

ALEXANDER Eine Übung, die überall durchgeführt werden kann, wäre zum Beispiel sich die Zeit für 10 tiefere Atemzüge einzuplanen und diese Atemzüge möglichst für sich selbst, innerlich leicht schnaufend, hörbar zu machen. Während dieser Atemzüge möglichst nur auf die Geräusche der Atmung achten und lächeln. Dauer ca. 2 Minuten.

Also wenn du jemand demnächst in einem Büro lauter schnaufen hörst, dann ist das kein Schnarchen, sondern meditatives Atmen.

ERNST Alexander, schön, dass du dir die Zeit genommen hast und wir uns zumindest tippend ausgetauscht haben. Ich freu mich auf ein Wiedersein im Meditas!

Dr. Alexander Knoll

Dr. Alexander Knoll bietet in seiner eigenen Praxis Hypnose & Psychotherapie an, ist Supervisor ÖVS (Österreichische Vereinigung für Supervision), Leiter von Meditationskursen und hat Vortragstätigkeiten für psychosoziale Einrichtungen und die Vitalakademie.