Pia Hofmann ist Expertin für Kreislaufwirtschaft, systemische Beraterin bei Trainconsulting und TEDx Organisatorin in Wien. Im Interview spricht sie darüber, warum Kreislaufwirtschaft nicht nur Recycling bedeutet, was das Lieferkettengesetz mit Kreislaufwirtschaft zu tun hat und wie wir unser System verändern können.

Pia, du bist „systemische Beraterin“ bei der Beraterfirma „Trainconsulting“ und dort Spezialistin für den Bereich „Kreislaufwirtschaft“. Auf die Frage, was das eigentlich ist, hast du in einem Artikel deine Großmutter zitiert: „Bei uns daheim, einem Bauernhof im Innviertel, gab es keinen Mistkübel. Weil nichts weggeworfen wurde.“ Ist es wirklich so simpel?

Ich glaube, dass meine Großmutter das Wort „Kreislaufwirtschaft“ nicht kannte. Verwendet hätte sie es sicher nie. Kreislaufwirtschaft ist notwendig geworden seit diesen zwei Generationen: Sie ist die Antwort darauf, wohin sich unsere Wirtschaft entwickelt hat – der Weg zurück. Damit wir all diese Mistkübel wieder loswerden. Kreislaufwirtschaft ist also eine Antwort – und etwas das es schon lange gibt.

Pia Hofmann ist Expertin für Kreislaufwirtschaft.

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Du hast Maschinenbau studiert. Was bringt die Maschinenbauingenieurin zur Kreislaufwirtschaft?

Ich bin lange mit dem Rucksack durch die Welt gereist. Auch in arme Regionen: Bangladesch, Indien, Peru … Das hat mir die Augen geöffnet. Über die Art, wie sehr wir mit diesen Regionen über unsere Art zu wirtschaften vernetzt sind. Unsere Lieferketten und der Wohlstand, den wir in Europa genießen, beginnt dort – aber er endet auch wieder dort. Eine Kette hat Anfang und Ende – ein Kreis nicht.

Zu erleben, wie diese Enden aussehen, war prägend: Da ist eine Miene oder ein Steinbruch, in dem alles beginnt – aber zuletzt auch die Deponie. Auf der wird entsorgt. Im Sinne von „ent-sorgt“: Wir entledigen uns unserer Sorgen.

Zu sehen und zu erleben, was dort passiert hat mir das Herz gebrochen: Kinder, die auf Deponien Müll sortieren, um zu überleben.

Das Bild kennt man. Aus dem Erkennen, wie sehr das in einer globalisierten, systemischen Welt miteinander verknüpft ist, kam dann der Antrieb, das in den Fokus zu rücken: Die Vorderseite unserer Gesellschaft ist schön – aber die Rückseite gehört dazu. Das ist unangenehm, aber ein Faktum: Wir reden von Ketten – aber es sind Kreisläufe.

Kreislaufwirtschaft wird oft einfach erklärt: Wenn wir mehr recyceln, wird alles gut. Ist es das? Erklärst du Führungskräften also, wo sie in ihren Unternehmen Glas- und Papiercontainer hinstellen sollen?

Es geht darum, größer zu denken. Kreislaufwirtschaft bedeutet eben nicht, wir trennen Müll und hoffen, dass irgendwer unsere Plastikflaschen verwerten wird. Es geht um viel mehr. Um ein grundlegendes Verständnis, dass dieser Kreislauf nicht erst beim Trennen beginnt.

Wie steht es da um das Bewusstsein? Ist der Gedanke, dass es nicht nur Liefer- sondern auch Entsorgungsketten gibt und dass die zusammenhängen, in den Führungsetagen schon angekommen?

Ja und nein: Wenn man mit dem Individuum, der Einzelperson, spricht, ist das Bewusstsein oft da: Alle wissen, dass etwas nicht stimmt. Dass das System schief ist, dass sich das nicht ausgeht.

Die Privatperson sagt „furchtbar, wir müssen was tun“. Aber wenn dieser – sagen wir mal – Familienvater sich seinen Berufshut als Vorstand eines Unternehmens aufsetzt, mit allen Handlungszwängen und Systemen, wird das plötzlich ganz ganz schwierig: Wie trifft man Entscheidungen, wenn ein Produktionszyklus oder ein Geschäftsmodell historisch gewachsen sind?

Darum: ja und nein – das Bewusstsein ist da, aber in verschiedenen Rollen. Und es ist noch nicht stark genug, dass sie erkennen, dass es auf den beruflichen Ebenen wichtig wäre, Entscheidungen zu treffen. In Kreisläufe einzugreifen, um zu einer runden Kreislaufwirtschaft zu kommen.

Nachhaltigkeit beginnt mit Bildern in den Köpfen.

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Ganz konkret: Was passiert, wenn du das ansprichst?

Die häufigste Reaktion ist: „Ja, wir wissen es eh, aber …“ Das „Was“ ist also klar. Alle lesen die IPCC-Berichte. Jeder weiß, wie drastisch es ist und wie schnell Entscheidungen getroffen werden müssten. Dieser Punkt ist allen klar. Aber der nächste Schritt, das „Wie?“ ist offen. Da gibt es ganz große Fragezeichen. Aus dieser Überforderung heraus resultiert, dass oft noch sehr wenig passiert.

Als Beraterin bist Du doch für die Antwort auf das „Wie“ zuständig, oder?

Nachhaltigkeit beginnt mit Bildern in den Köpfen. Darüber zu reden, ob oder wie man ein konkretes Material wieder aufbereitet, ist das gängige Bild. Aber wir müssen etwas anderes tun: Das ist nämlich der letzte Punkt der Kette. Doch an den wird zuerst gedacht.

Ich versuche, Führungskräfte aus diesem Detaildenken rauszuholen. Zu sagen: „schauen wir auf das große Ganze: Worum geht es wirklich?“ Wenn wir sagen, wir wollen eine nachhaltige Wirtschaftswelt, geht es darum, die Bedürfnisse der Menschen – aber auch der Natur, von Ökosystemen und Organisationen – so zu befriedigen, dass auch kommende Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können.

Kreislaufwirtschaft ist das Handwerkszeug auf dem Weg dorthin. Eine Methode. Da geht es darum, zu illustrieren, dass es eben nicht nur ums Recycling geht, sondern um die „Neun R’s“ der Kreislaufwirtschaft.

Wir beginnen mit „Rethink“: der Überlegung, ob man etwas überhaupt braucht. Welches Bedürfnis ein Produkt, eine Dienstleistung wirklich befriedigen soll. Und dann kommt die Frage, ob das auch anders ginge.

Wenn man diesen Blick aufmacht, ergeben sich fast immer neue Handlungsoptionen. Und genau das ist meine beraterische Tätigkeit.

Die „9 R’s” heißen „Refuse, Rethink, Reduce, Re-use, Repair, Refurbish, Remanufacture, Repurpose, Recycle“. Du beginnst dennoch nicht bei „Refuse“ sondern „Rethink“. Rethink betrifft bei Konsumprodukten auch Qualität und Lebensdauer: Wenn etwas rasch kaputt geht, gibt es mehr zu entsorgen. Und wenn etwas lange hält, weniger. Aber das geht zu Lasten von Produktionskosten, Absatzzahlen und damit Profit.

Das ist eines der Kernprobleme. Wir haben Jahrzehnte des Profitdenkens hinter uns. Der Auftrag lautete, möglichst schlechte Produkt zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen – weil das den höchsten Profit bringt. In meinem Maschinenbaustudium hat man uns in Konstruktionslehre noch als Grundsatz zur Herstellung von Bauteilen beigebracht: „So schlecht wie möglich, so gut, wie gerade nötig“

Von diesen Prinzipen gilt es wegzukommen. Wenn wir Bedürfnisse nachhaltig befriedigen wollen, ist Qualität essenziell: Ich darf nicht erst mit der Frage beginnen, wie ich das, was am Ende übrigbleibt, recycle.

Aber dieses Umdenken wirkt sich natürlich massiv auf die Art, wie wir wirtschaften aus. Auf die Art, wie wir unternehmerischen Erfolg definieren. Das kann dann nicht mehr Profit sein: Wenn wir Kreislaufwirtschaft erst meinen, geht sich das nicht aus.

Bei der Kreislaufwirtschaft geht es nicht nur ums Recycling, sondern um die „Neun R’s“.

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… und das erklärst du in einer Aktionärsversammlung deinen Shareholdern. Viel Spaß dabei.

Da sind wir bei einer Grundsatzfrage: „Change by Design versus Change by Desaster“.

Momentan geht es in Richtung „Desaster“. Das Umdenken kommt, weil uns die Rohstoffe sukzessive ausgehen. Weil man draufkommt, dass es sich auch wirtschaftlich nicht ausgeht, alles für „Single Use only“ zu produzieren.

Ja, dadurch kommen gerade Veränderungen ins Rollen – aber wünschenswert wäre es natürlich, wenn man „Desaster“ nicht braucht. Also „By Design“. Denken wir um. Nicht nur, wie das Handydisplay länger hält, sondern auch über das Geschäftsmodell: wie verdienen wir Geld, wenn wir nicht ständig neue Produkte verkaufen können? Geschäftsmodelle neu zu denken ist spannend. Der Gedanke, die oberste Prämisse, die Gewinnmaximierung und die ständige Neuproduktion einmal aus diesem Kreislauf rauszunehmen ist aber wahnsinnig schwierig. Weil wir als Gesellschaft und Wirtschaft komplett davon geprägt sind.

Toll – in der Theorie. Aber wie geht das? Der Sachzwang ist da wohl gewaltig – egal wie sehr man sich das als Privatperson alles wünscht.

Der energievollste Weg zur Veränderung ist die positive Verstärkung. Zu schauen, ob es etwas gibt, das uns schon gut gelingt. Ob es Ansätze gibt. Ob man aus der Vergangenheit lernen kann: Wie war es denn 1930 bei meiner Großmutter im Innviertel? Damals wurde auch gewirtschaftet – aber in anderen Maßstäben und nach anderen Prinzipien. Es gibt dennoch Zugänge, an denen man anknüpfen kann. Hilfreich sind da immer Fragen wie „Was können wir schon? Was wissen wir schon? Worauf können wir aufbauen?“

Und das funktioniert? So einfach?

Ich bin immer wieder erstaunt, was es für einen Unterschied machen kann, wenn man Leute an der Hand nimmt und gemeinsam drauf schaut, was sie gut können, welche Stärken sie haben. Es gilt als unangebracht, sich hinzustellen und zu sagen: „Schauen wir, wie gut wir schon sind.“ Aber dann wundern wir uns, wie wenig Drive da ist, Dinge anzugehen – weil wir in einer Grundhaltung sind, nur ja keinen Fehler zu machen. Wir sind es gewohnt, einen Normalzustand zu definieren und seine negative Abweichung: Es gibt „Gut“ und „Fehlerhaft“. Dass es auf der anderen Seite auch ein „exzellent“ gibt, dass man das auch mitnehmen muss und dadurch die Angst abzurutschen ausgeglichen werden kann, akzeptieren wir nicht.

Wenn wir von Kreislaufwirtschaft sprechen, gilt das genauso: Natürlich gibt es wahnsinnig viel zu tun – aber man findet im Kleinen immer Dinge, die schon gut laufen. Das nimmt man dann in den Fokus: „Darauf bauen wir auf und weiten es auf andere Bereiche aus.“ In vielen kleinen Schritten.

Das klingt optimistisch. Aber geht es sich mit kleinen Schritten noch aus, das große Umdenken zu erreichen?

Ich bin von Berufs wegen Optimistin. Weil ich es zu meiner Aufgabe gemacht habe, Wandel zu begleiten. Der Optimismus nährt sich daraus, dass ich glaube, dass es geht. Aber natürlich gibt es in mir auch eine besorgte Seite.

In Europa wird es ein Lieferkettengesetz geben. Aber brauchen wir nicht auch ein „Hintenraus-Ketten-Gesetz“, ein Regelwerk und ein Verantwortlichmachen für die Entsorgung? Bis hin zu den Kindern auf der Deponie in Bangladesch oder den Schiffsabwracker am indischen Strand?

Unbedingt! Ein Kreislauf schließt all das mit ein. Die Lieferkette ist nur der eine Teil des Bogens. Aber hinten raus, die Verwertungskette, bis hin zum „Reduzenten“, der das Wrack zerlegt und Material wieder dem Kreislauf zuführt – all das sind zentrale Teile des Kreises. Und ein ehrlicher Kreislauf wird erst dann daraus, wenn die alle mitgedacht sind. Ein Lieferkettengesetz ist ein wichtiger Schritt. Ein großer Schritt. Aber eben nur ein erster Schritt – und nur ein Teil des Ganzen.