Caroline Thurner studierte Biochemie, weil sie „alles“ über das Leben wissen wollte. Nach Jahren in der akademischen Forschung arbeitet sie seit 2014 am Österreichischen Institut für Bauökologie als Expertin für Materialökologie.
Frau Thurner, wissen Sie jetzt „alles“ über das Leben?
Um ehrlich zu sein – nein. Wir wissen sehr viel über den Tod. Das Leben selbst ist nach wie vor ein Mysterium.
In aller Kürze: Plastik – Freund oder Feind?
Als Chemikerin sage ich: Plastik ist toll – ideal fürs Labor. Es kommt immer etwas Interessantes oder Aufregendes heraus.
Für unsere Umwelt ist es allerdings ein leider „legales Verbrechen".
Plastik ist für viele Menschen ein emotionales Thema. Doch die meisten wissen nur, dass es irgendwie mit Erdöl zusammenhängt. Was genau ist das Schlechte daran?
Wird Erdöl erhitzt, erhält man verschiedene Abscheidungsprodukte: Gase, Flüssigkeiten, teerartiges Zeug … alle möglichen Chemikalien. Für Chemiker ist das wie ein großer Spielplatz. Wie Lego-Bausteine kann man aus diesen Chemikalien etwas Neues bauen. Man hängt die Bausteine chemisch zu langen Ketten aneinander. So entstehen Polymere mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Zusätzlich kann man dann Additive für glatte Oberflächen, Farben, Flammschutzmittel usw. hinzufügen – das Ergebnis ist eine unüberschaubare Vielfalt an Materialien, die so nicht in der Natur vorkommen. Heute sind alleine 2000 verschiedene Flammschutzmittel weltweit in Umlauf.
Polymerketten kommen in der Natur auch vor …
Ganz genau, und das ist natürlich verwirrend. Es gibt ganz viele natürliche Polymere wie z.B. Stärke oder DNA. Das Problem an den künstlichen Polymeren ist, dass es keine Organismen gibt, die diese abbauen können. Bei Stärke oder DNA ist es so, dass sie aus Glukoseeinheiten bzw. Nukleotiden bestehen, beides Stoffe, die in der Natur überall vorkommen und es gibt überall Organismen, die diese Polymere abbauen – ein Verrottungsprozess.
Und warum genau verrottet Plastik nun nicht?
Weil sich dieser Verrottungsprozess im Laufe der Evolution entwickelt hat. Irgendwann begannen Organismen Polymere zu bilden. Daraufhin lernten andere Organismen genau diese Polymere abzubauen. Für Plastik gab es keine evolutionäre Entwicklung. Das ist der Grund, warum es in der Umwelt verbleibt, oft als Mikroplastik oder Nanoplastik. Es geht einfach nicht weg. Kein Organismus kann mit diesen Teilen etwas anfangen. Plastik ist ein Stoff, der für die Umwelt ein tödlicher Störstoff ist. Er passt nicht zum Verhalten der Menschen oder Tiere. Menschen werfen Plastik weg, Tiere fressen es. Wir können unmöglich alle erziehen.
Plastik passt nicht zum Verhalten der Menschen. Wir können unmöglich alle erziehen.
Wenn wir niemanden erziehen können, was wäre ein Lösungsansatz?
Wir brauchen Materialien, die zu den Menschen und dem Leben auf der Erde passen, wir können nicht das Leben an irgendwelche Materialien anpassen. Das klappt nicht. Deshalb sieht unsere Welt heute so aus, wie sie aussieht.
Ist Bioplastik nicht die Lösung?
Es ist eher ein Problem. Bioplastik ist bewusst so benannt, dass alle glauben, es ist etwas Gutes, nach dem Motto: „Perfekt, wir haben das Plastikproblem gelöst“. Bioplastik ist nicht gleich Bioplastik. Es gibt natürliche und auch fossile Ausgangstoffe dafür. Bei den natürlichen Ausgangsstoffen bedeutet es, dass man eigentlich auf Nahrungsmittelressourcen zurückgreift. In der Norm, die den Nachweis der Kompostierbarkeit regelt, wird bei den fossilen Ausgangsstoffen nur der Kompost untersucht, und dabei auch nur wieviel CO2 produziert wird. Man weiß nicht, woher das CO2 wirklich kommt, ob vom Abbau von Plastik oder von natürlich vorkommenden Abbauprozessen, die im Kompost sowieso ablaufen. Man untersucht nicht einmal, ob schädliche Stoffe entstehen. Wobei das Wort „kompostieren“ auch irreführend ist. Kompostieren, so wie es die Menschen empfinden, hat damit zu tun, dass etwas zerfällt und als Resultat eine nahrhafte, günstige Erde herauskommt mit der man den Boden verbessern kann.
Ich dachte, dass man Bioplastik auf den Kompost geben kann.
Das würde ich persönlich nicht machen. Das deutsche Umweltbundesamt kritisiert, dass bioabbaubare Stoffe jedenfalls nicht zur Bodenverbesserung beitragen. Außerdem zerfallen alle heute bekannten biologisch abbaubaren Kunststoffe bei der Kompostierung nur unter den definierten Bedingungen von industriellen Kompostierungsanlagen. Sie sind weit entfernt von den Bedingungen draußen in der Natur. Die Norm beschreibt den Abbauprozess nur bis zu einer Größe von 2 mm², alles was kleiner ist, definiert sie als “Aufbau von Biomasse”, und meint damit, dass es in den Zuwachs von Bakterien und Pilzen im Boden umgewandelt wurde. Das mag zum Teil so sein, der Großteil wird aber wahrscheinlich nur einfach kleines Mikroplastik oder sogar Nanoplastik sein. Es gibt heute noch kein Verfahren, das die tatsächliche Produktion von Biomasse nachweisen, geschweige denn messen könnte, das bedeutet die Umwandlung in 100 % Moleküle, die in einem spezifischen Organismus natürlicherweise vorkommen würden.
Also doch kein Bioplastik?
Es ist eine Mogelpackung. Es gibt Studien, die beweisen, dass durch kompostierbare Kompostbeutel mehr Biomaterial gesammelt wird. Aber die Leute haben das Gefühl „es zerfällt eh in der Umwelt“ und gehen dann sorgloser damit um. Das Gefühl der Schädlichkeit von Plastik verschwindet auch für nicht kompostierbares Plastik. Die Menschen glauben, es wird eh alles bald kompostierbar sein, also kann ich jetzt auch das bisschen nicht kompostierbares Plastik in die Umwelt wegwerfen. Das ist fatal.
Kompostierbares Plastik ist eine Mogelpackung. Es trägt nichts zur Bodenverbesserung bei.
Ich dachte eigentlich, es dauert einfach nur länger, bis es zerfällt …
Ja, das stimmt, aber dieses „länger dauern“ ist so lange, dass es ganz viele Tiere inzwischen fressen, daran sterben, zerfallen, andere Tiere fressen das übrig gebliebene Plastik wieder. Die Würmer bringen es in tiefere Erdschichten hinein. Es ist bewiesen, dass faserförmiges Mikroplastik die Beschaffenheit des Bodens verändert, das hat zur Folge, dass sich die Wasser- und Gasflüsse im Boden ändern. Wie sich das genau auswirkt wissen wir noch gar nicht.
Wegen der Bezeichnung Bioplastik verliert man das Gefühl der Schädlichkeit.
Was hat es eigentlich mit Mikroplastik auf sich?
Mikroplastik sind Bestandteile kleiner als 5 mm. Wird es durch Abrieb oder andere mechanische Einwirkungen noch weiter verkleinert wird es zu Nanoplastik. Das ist dann so klein, dass diese Partikel zwischen menschlichen Zellen durch in unser Lymphsystem und sogar durch Zellwände in die Zellen selbst kommt. Man hat das schon bei Pflanzen beobachtet. Salatpflanzen in deren Nährlösung man Nanoplastik gegeben hat sind schneller verkümmert. Durch fluoreszierende Marker am Nanoplastik konnte man sehen, dass sich das Nanoplastik fest an den Zellwänden der Wurzeln abgelagert hatte.
Aber ist nicht Mikroplastik in vielen Kosmetika drinnen?
Leider wird Mikroplastik noch immer in vielen Kosmetikartikeln wie Duschgel, Creme und Shampoo verwendet. Auch in sehr vielen Waschmitteln und Weichspülern ist es enthalten. Der Witz ist hier: Es hat nicht mal eine Funktion. Es dient nur dazu, dass der Weichspüler trüb aussieht, damit die Leute glauben, dass viele gute Inhaltsstoffe drinnen sind.
Wir verpulvern also jede Menge Mikroplastik ohne es zu wissen?
So ist es. Die Umwelt ist mittlerweile flächendeckend voll damit. Egal was man untersucht hat: Vögel, Muscheln, Kühe – überall findet man Mikroplastik.
Und was jetzt?
Gute Frage. Es gibt keine Antwort, tut mir sehr leid. Die Wissenschaftler*innen können auch nicht alles. Noch dazu sind Wissenschaftler*innen sehr kritische Geister. Die Fragestellungen sind so komplex, dass wir sie immer stark einschränken müssen, man kann nur kleine Ausschnitte jeweils betrachten. Wir behaupten nie, dass wir alles wissen. Das machen nur Pseudo-Wissenschaftler, deren Existenz irgendwie vom Ergebnis ihrer Arbeit abhängt. Gerade weil man immer nur etwas unter gewissen Bedingungen erforschen kann, beschäftigen sich 2/3 einer Publikation mit den Einschränkungen unter welchen Bedingungen man etwas aussagen kann. Das kann schrecklich langweilig sein. An der Schnittstelle zu den Medien gehen deshalb ganz viele dieser wesentlichen Informationen verloren und am Ende schreiben die Medien immer nur über tolle Erkenntnisse.
Ist also jede Hoffnung verloren?
Wir brauchen nicht Hoffnung. Wir müssen wissen was in unseren Normen steht und müssen lernen sie zu interpretieren. Angeblich stellt die Norm DIN EN 13432 (Nachweis der Kompostierbarkeit) sicher, dass Bioplastik vollständig in CO2, Wasser, Salze und Biomasse umgebaut wird.
Laut der Norm gilt ein Kunststoff als kompostierbar, wenn er unter definierten Bedingungen innerhalb von zwölf Wochen zu 90 Prozent in Teile kleiner als zwei Millimeter zerfallen ist. Die Entstehung von CO2 wird bei ca. 60°C Inkubation gemessen. Leider wird der Blindkompost nicht auch bei 60°C mitinkubiert, sodass nicht sichergestellt werden kann, dass das gemessene CO2 tatsächlich aus der Zersetzung von Plastik entstanden ist oder nicht doch einfach im Kompost bereits vorhanden war.
Wenn du möchtest, können wir zu meiner Kritik am Normenwesen ein neues Interview machen.
Weiterführende Infos findet ihr auf den folgenden Seiten:
Deutsche Umwelthilfe
Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie
Umweltbundesamt
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