25. Jänner 2021: Motorrad- und Motorrollerfahren ist ziemlich lustig. Dass das auch sauber geht, macht die Sache zwar weder sicher noch vernünftig – aber trotzdem einen gewaltigen Unterschied: Die Geschichte eines schmerzlosen Umstieges auf einen E-Roller.

„Das ist ja wie Autodrom fahren! Man spürt gar nix – und dann gehts los!“ Ed war begeistert. Er drehte gleich noch eine Runde. „Boaah, beschleunigt wie eine Große!“ Dann entdeckte er den kleinen Schalter unter dem Gasgriff. Dort, wo bei anderen Motorrädern der sogenannte „Killswitch“ ist – also jener Not-Aus-Schalter, mit dem man den Motor auf alle Fälle abstellt. „Wasn das?“ fragte er – und drückte. „Öha!“ kam aus seinem überraschten Mund – und als er sich wieder gefasst hatte, schallendes Gelächter: „Nicht dein Ernst: das Baby hat einen Retourgang? Wer braucht bitte sowas?“ Ich sah es Ed durch den Vollvisierhelm an: Mit diesem Tool würde er jetzt Unfug stiften. Nachvollziehbar – aber da ich nicht wollte, dass mein bester Freund meinem neuen Motorrad gleich am ersten Tag Dellen und Kratzer verpasste, winkte ich ihm zu: Die Probefahrt war zu Ende. „Darf ich sie mir ausborgen, wenn du nicht da bist?“ Na klar. „Aber du hast mich angefixt: Ich glaube, ich will auch sowas. Was kostet das Teil rasch?“

„Das Teil“ ist ein Motorrad. Genauer: Ein Motorroller. Es heißt „Bimie“ – und wenn man einmal überrissen hat, was Arno Mairitsch meinte, als er das auf das von ihm aus China importierte Ding schrieb, ist der Name Programm. „Bimie“ steht für „Bike mit E“ – und so heißt auch Mairitsch kleines Motorrad-Geschäft auf der Speisingerstraße in Wien. Meine „Bimie“ ist von dort – und als ich mich zum ersten Probefahren auf den kleinen Roller setzte, war ich noch skeptisch. Höflich formuliert.

Scooterboy
Ich war seit meiner Jugend ein „Scooterboy“. Also einer von denen, die als Lifestyle-Statement Vespas fuhren – möglichst alte. Einer, der an diesen Dingern – talent- und ahnungslos – mehr herumschraubte, als er fuhr. Und der vor zehn Jahren schweren Herzens den (pragmatischen) Schritt vom knatternden, stinkenden (nein: das roch nach Charakter!) Zweitakter mit Handschaltung zum biederen Viertakter gemacht hatte. Wissend, dass andere Hersteller längst effizienter und sicherere Stadtroller bauten. Aber nur eine Vespa ist halt eine Vespa.

Dass Motorradfahren unvernünftig ist, brauchen Sie mir nicht zu erklären: Jo eh. Andererseits ist man mit einem Roller in der Stadt deutlich schneller und wendiger als mit dem Auto: Zwischen – natürlich nur stehenden – Kolonnen legal am Stau vorbei fahren dürfen ja nicht nur die Radfahrer. Aber mit Gepäck und mitunter Anzug mehrmals am Tag quer durch die Stadt zu gurken ist mir am Rad mitunter einfach zu schweißtreibend-anstrengend. Auch, weil die Radwege Wiens mittlerweile so überlastet sind, dass … aber das ist eine andere Geschichte.

Außerdem macht mir Motorrollerfahren einfach Spaß.

Doch da ist noch etwas: Auch eine Vespa verbrennt Benzin – und ist nicht wirklich sparsam. Fünf Liter Sprit per 100 Kilometer zu verbrennen, um (meist) eine Person zu bewegen, ist ungeachtet der Frage, ob das ein- oder zweispurig passiert, unsinnig. Und unzeitgemäß. Für gefühlt 85 Prozent aller Fahrten gäbe es sinnvollere und saubere Alternativen: Öffi, zu Fuß, das Rad – oder E-Mobilität.

Was (nicht) E kann
Aber so wie jeder, der persönlichen Komfort rechtfertigen will, hatte ich eine Ausrede. Die war nicht einmal schlecht: Piaggio, der Vespa-Konzern, hat vor zwei oder drei Jahren eine E-Vespa auf den Markt gebracht. Ich bin damit Probe gefahren – eine Niederlage: Das „Baby“ schaffte 42 km/h – und das nur zäh. Obwohl das jedes Moped kann, war dieses Teil ein „echtes“ Motorrad.

Ich war – für einen Test vor der Kamera – zuvor schon mit anderen E-Motorrädern gefahren: Die Dinge waren allesamt grottenhässlich, hatten aber „Biss“. Das ist E-Motorrädern wesensimanent: Der Elektromotor „kommt“ nicht langsam wie ein Benziner, sondern schiebt sofort mit 100 Prozent Drehmoment an.

So „staubt“ man an Kreuzungen noch mit dem schlichtesten E-Gefährt meist „schwere“ Motorräder auf den ersten 50 oder 100 Metern. Das ist lustig – und bringt Sicherheit: Wer auf dem Motorrad sieht, dass er gleich „abgeschossen“ wird, bremst nicht und riskiert einen Salto – sondern gibt Gas.

Die E-Vespa war „runtergetunt“. Entweder würde das Folgemodell mehr Pep haben – oder „irgendwer“ würde das Teil „zurechtzangeln“. Der Preis? Vespa-Typisch. Also hoch: man zahlt für Namen und Form. Ich lehnte aus einem anderen Grund ab. Warum? Weil E-Motorräder aufgrund der geringen Größe der Akkus meist an „normalen“ 220Volt-Steckdosen geladen werden. Was praktisch klingt – man kann ja überall laden und braucht keine E-Tankstelle – ist tatsächlich ein Mega-Problem für alle, die keinen Garagen- oder Gartenplatz haben: Legen Sie mal ein (Spiral!)-Stromkabel quer über einen Gehsteig – und schauen Sie was passiert. Plan B? Gibt es nicht: Der Vespa-Akku wiegt 40 Kilo. Oder nur 30? Egal: Er ist fest mit dem Roller verbaut.

Tom Rottenberg mit seinem E-Roller beim Podcast-Dreh in der Wiener Arena. (Foto: Tom Rottenberg)

In einer industriellen Umgebung sitzt eine Person mit Helm auf einem Roller, umgeben von Gerüsten und Studiolichtern, und verkörpert den Geist des Nahgenusses.

Winterfahrten im Lockdown
Also verbrannte ich weiter Benzin. Im ersten Lockdownjahr den ganzen Winter durch: Windschild, Thermodecke und Skihandschuhe reichen – denn mehr als drei oder vier echte Schnee- oder Eistage hat der Wiener Winter nicht. Das wird jeder Winterradler, jede Winterradlerin bestätigen. Ich fahre mit beidem – aber je kälter, desto eher Rad: Dank der Bewegung friert man da nämlich weniger.

Trotzdem blieb am Motorrad die Sache mit dem Gewissen.

Dem Öko-Fußabdruck: Benzinverbrennen in der Stadt ist bei meinen Mobilitätsbedürfnissen schlicht nicht notwendig.

Als dann eines Tages Martin Rohla, der „Business Angel“ hinter nachhaltigen Projekten wie der Lokalkette „Habibi & Hawara“ oder der „Saint Charles Apotheke“ zum oekostrom AG-Talk „Freitag in der Arena“ mit dem E-Moped anreiste und von der Wendigkeit seines „Hupfers“ (einer „Unu“) schwärmte, beschloss ich, dass es Zeit sei. Zeit, für den Umstieg: Rohlas kleine „Unu“ – ein Moped – war nett, mir aber zu schwachbrüstig. Also sah ich mich um.

Auf Arno Mairitsch „Bikemite“ stieß ich dann über eine Freundin. Die, ebenfalls Ex-Vesparista, hatte die gleichen Skrupel wie ich und war nach längerem Suchen auf die „Bimie“ gestoßen: Ein 125-Kubik-Äquivalent, flink und wendig genug für die Stadt aber mit einer Reichweite, die auch kleinere Land-Fahrten möglich macht – und, ganz wichtig, einem herausnehmbaren Akkublock. Dass das Modell „Grazie“ heiße, sagte sie, habe sie erst nach der Probefahrt erfahren: „Ich habe sie gesehen – und war ein bisserl verliebt: Sie ist irgendwie süß.“ Ich war skeptisch: Ein Roller muss aussehen wie eine Vespa. Und nur eine Vespa ist eine Vespa.

Schon süß
Trotzdem fuhr ich nach Speising. Und: Ja, „süß“ ist sie wirklich, die „Grazie“. Dann fuhr ich los: Wow! Obwohl meine Vespa weit stärker ist, bließ mich der E-Motor beim Anfahren fast vom Sitz. Für seine kleinen Reifen lag das Baby verdammt gut und fein beweglich auf der Straße – und (für einen Kleine-Reifen-Roller wohlgemerkt!) ist die Bremsleistung wirklich ausgezeichnet.

Ich sah meine benzinschluckende 300er an und hatte fast ein schlechtes Gewissen. Aber dann rechnete ich: Die Bimie würde knapp über 4000€ Kosten. Das Vorführfahrzeug bekäme ich günstiger. Und weil E-Mobilität in Österreich gefördert wird, würde ich – als Bezieher erneuerbaren Stroms – dann zusätzlich eine staatliche Förderung von 700 Euro bekommen.

Ein kurzer Blick auf „willhaben“ – und die Sache war klar: Sogar für Unfall-Vespas bekommt man oft mehr, als dieser Hupfer kosten sollte. Und im Betrieb ist E-Motorradfahren dann echt nicht der Rede wert: Eine „Tankfüllung“ reicht bei sparsam-vernünftiger Fahrweise 90, bei „spaßbetontem“ Gasgeben auch noch locker für 70 Kilometer. Sie kostet – festhalten! – nicht einmal einen Euro. Und „spaßbetont“ heißt: Vollgas an jeder Ampel – und binnen vier Sekunden auf 60 km/h beschleunigen. Bleibt man auf der Landstraße am Gas, ist man nach etwa 20 Sekunden bei 90, manchmal 95 km/h – und zwar lautlos: Das lauteste an meinem Motorrad ist der Lüfter des Ladegerätes.

Hupbereit fahren!
Das ist im Übrigen das Einzige, was man beim Fahren wirklich neu lernen muss. Nicht ohne Grund sagen Biker „loud pipes save lives“: Autofahrer, aber auch Fußgänger, schauen einem lautlosen Motorrad freundlich entgegen, lächeln mir manchmal sogar noch zu – und fahren dann entspannt los. Oder steigen auf die Fahrbahn: Die akustische Umweltverschmutzung durch Verkehrslärm ist heute fixer Bestandteil dessen, woran wir die Bewegung anderer Verkehrsteilnehmer:innen zu erkennen vermeinen. Neue E-Autos müssen deshalb künstlich Krach machen. Das ist bizarr – aber es ist eben wie es ist.

Ich habe mir deshalb auf den ersten 200 Kilometern mit meiner „Bimie“ angewöhnt, immer einen Finger auf der Hupe zu haben – und fahre deutlich aufmerksamer als früher.

Was mich aber wirklich überraschte, war etwas Anderes: Als meine alte, wohl letzte, Benzin-Vespa von ihrem neuen Besitzer abgeholt wurde, war ich nur eine Sekunde lang traurig – und dann erleichtert: Ich fahre gerne Motorrad. Oder Motorroller. Nein, vernünftig ist das nicht. Aber dass das auch ohne schlechtes Gewissen möglich ist, ist einfach ein verdammt gutes Gefühl