Fashion Revolution Austria hat es sich zum Ziel gesetzt, die nachhaltige österreichische Modelandschaft zu connecten, Endkonsument:innen wachzurütteln und mit Kampagnen, die im globalen Kontext eingebettet sind, auf Missstände in der (Ultra) Fast Fashion Industrie aufmerksam zu machen. Der in diesem Jahr wiederbelebte Verein wird von vier Frauen geleitet (Astrid Aschenbrenner, Romy Graves, Nadine Schratzberger und Sabinna Rachimova), die alle ihre eigene Expertise mitbringen und so die Fashion Revolution in Österreich vorantreiben wollen.

Ich habe mit Nadine Schratzberger und Sabinna Rachimova, zwei der vier Co-Gründerinnen, über die Macht der Politik und Transparenz in der Modeindustrie gesprochen.

Nadine, Sabinna: Wie treibt man eine Revolution in der österreichischen Modeindustrie voran?

Nadine: Zum einen, indem wir uns rückbesinnen: Österreich hat eine mega Vergangenheit im Modebereich, die in Vergessenheit geraten ist. Dabei gibt es hier wahnsinnig viel.

Zum anderen, indem wir Synergien schaffen zwischen Fashion Professionals und Konsument:innen. Dabei soll sich jede:r angesprochen fühlen. Es darf und kann nicht immer alles nur von Wien ausgehen. Neben dem Aufbau eines Netzwerks und Kampagnen, planen wir im Herbst eine Bundesländer-Tour.

Sabinna: …und indem wir unser politisches Potenzial nutzen. Österreich ist kein unbedeutendes Land, gerade auf EU-Ebenen. Gerade wird so viel Potenzial einfach liegengelassen. Wir wollen die Anlaufstelle sein, um dieses im Fashion Bereich zu nutzen.

Welches politische Potenzial muss denn genutzt werden, um die Fashion Industrie zu revolutionieren?

Sabinna: Gerade sind wir recht gespannt auf den EU Green Deal. Der ist wahnsinnig wichtig für die Textilbranche und die Rohmaterialien. Hier geht es darum, zu schauen, ob die Regeln wirklich wirken. Es ist nicht so, dass derzeit nichts geregelt ist, aber es gibt Schlupflöcher und die Strafen und Konsequenzen sind so niedrig, dass sie irrelevant sind. Konzerne berechnen diese einfach mit ein.

Wichtig ist uns, Gesetze zu gestalten und hier Fashion Professionals auf allen Ebenen mit einzubeziehen. Oft werden wir in der Recherche gar nicht kontaktiert – uns werden fertige Gesetze einfach vorgesetzt.

Nadine: Wir wollen gehört werden und mit am Tisch sitzen. Wir müssen uns in den großen Gesetzen wiederfinden – es muss für alle Platz geschaffen werden. Ein konkretes Beispiel noch: Beim Lieferkettengesetz wollen wir auf jeden Fall mitarbeiten und uns einbringen.

Ein Siegel kannst du dir kaufen, Transparenz nicht.

Nadine Schratzberger

Eins eurer Ziele ist es, Transparenz und Verantwortung voranzutreiben – was heißt das für die Modeindustrie?

Nadine: Transparenz hat einfach etwas damit zu tun, die Kund:innen an die Hand zu nehmen und zu erklären: Schau, das ist der Pullover, der hat diese Stopps gemacht bis er bei dir ist und hier kommen die Materialien und Fasern her. Gleichzeitig heißt es, die Designer:innen an die Hand zu nehmen und zu zeigen, was möglich ist.
Transparenz in einem Fashionunternehmen spielt auch eine größere Rolle als Siegel. Siegel sind wichtig und zeugen von einem gewissen Maß an Regeln. Trotzdem kannst du dir ein Siegel kaufen, Transparenz nicht.

Sabinna: Aber Transparenz ist nicht gleich Nachhaltigkeit. Transparenz ist der erste Schritt Richtung Nachhaltigkeit und hier entsteht die Verbindung zur Verantwortung. Je mehr Transparenz im Unternehmen gelebt wird, desto mehr werden Hierarchien verstanden und damit die Verantwortung, wie wir mit geballter Kraft und Engagement in die richtige Richtung gehen.

Womit wir direkt beim Begriff der Nachhaltigkeit wären. Wie definiert ihr Nachhaltigkeit für den Fashion-Bereich?

Sabinna: Jede von uns würde anders antworten und genau hier sind wir lost in translation. Nachhaltigkeit ist schnell zu einem Buzzword, einem Trend geworden, aber wir haben schnell verstanden, dass es eben kein Trend ist, sondern etwas, das bleibt. Trotzdem ist die Definition nicht festgelegt. Weder in der Linguistik noch in der Modebranche. Was Nachhaltigkeit auf keinen Fall ist, ist eine selbst gewählte Definition aus der Marketingperspektive, die sich auf einen kleinen Prozentsatz im Unternehmen stützt.

Eine vereinfachte Darstellung der Nachhaltigkeit wäre: Transparenz schaffen, darauf aufbauend, Verantwortung kommunizieren und dann Produkte zirkulär produzieren, die gebraucht werden und nicht länger auf dem Planeten bleiben, als ich es tue.

Nadine: Da stimme ich voll zu. Nachhaltigkeit wurde als Trend gesehen, alles ging viel zu schnell, wie so vieles in unserer Gesellschaft und jetzt braucht es Aufklärung. Nachhaltige Mode ist so etwas wie ein Bildungsauftrag.

Trotzdem wird Nachhaltigkeit als Buzz Word mittlerweile bei fast allen Modekonzernen genutzt – ob Conscious Collection oder recycelter Plastikanteil im Shirt. Können große Modeketten etwas ändern, ohne dass es gleich ins Greenwashing geht?

Nadine: Schwierig. Dafür müsste die Art, wie diese Unternehmen arbeiten, von Kopf bis Fuß geändert werden. Lenk mal einen Dampfer wie die Titanic schnell in eine andere Richtung – das geht nicht.
Um nachhaltig zu werden, muss von vorne begonnen werden, was fast unmöglich ist, weil die Verträge entlang der Lieferkette bei Konzernen über Jahre geschlossen werden. Wenn ich ein angeblich nachhaltiges Shirt herstelle, das in einem linearen System mit Dumpinglöhnen und schädlicher Herstellung produziert wird, ist das eher ein Marketing-Gag als eine True Story.

Sabinna: Die Challenge für nachhaltige Mode ist, dass wir versuchen ein nachhaltiges Konzept und Zirkularität in einem kapitalistischen System einzubauen. Planet und Mensch wird geschadet, um als Business zu funktionieren und Geld zu machen.
Bei großen Ketten ist das ganze Business Konzept auf das Kapital ausgelegt und nicht darauf nachhaltig zu sein. Aus Entrepreneurship-Sicht heißt das auch, wenn man all das von vornherein bedenkt, muss man später weniger ändern.

Nadine: Selbst wenn Unternehmen von Anfang an nachhaltig sind, können irgendwann die Investor:innen kommen und drehen den Geldhahn zu. Mit nachhaltiger Mode verdient man nicht das große Geld. Dass wir in einem kapitalistischen System agieren, ist gerade das Traurige.

Fashion Revolution Austria will auf die Missstände in der Fast Fashion Industrie aufmerksam zu machen.

Ein Kleiderständer mit Strickpullovern und Oberteilen in neutralen Farben steht anmutig neben Pampasgras und ist ein Beispiel für faire Mode.

Trotzdem wird Nachhaltigkeit als Buzz Word mittlerweile bei fast allen Modekonzernen genutzt – ob Conscious Collection oder recycelter Plastikanteil im Shirt. Können große Modeketten etwas ändern, ohne dass es gleich ins Greenwashing geht?

Nadine: Schwierig. Dafür müsste die Art, wie diese Unternehmen arbeiten, von Kopf bis Fuß geändert werden. Lenk mal einen Dampfer wie die Titanic schnell in eine andere Richtung – das geht nicht.
Um nachhaltig zu werden, muss von vorne begonnen werden, was fast unmöglich ist, weil die Verträge entlang der Lieferkette bei Konzernen über Jahre geschlossen werden. Wenn ich ein angeblich nachhaltiges Shirt herstelle, das in einem linearen System mit Dumpinglöhnen und schädlicher Herstellung produziert wird, ist das eher ein Marketing-Gag als eine True Story.

Sabinna: Die Challenge für nachhaltige Mode ist, dass wir versuchen ein nachhaltiges Konzept und Zirkularität in einem kapitalistischen System einzubauen. Planet und Mensch wird geschadet, um als Business zu funktionieren und Geld zu machen.
Bei großen Ketten ist das ganze Business Konzept auf das Kapital ausgelegt und nicht darauf nachhaltig zu sein. Aus Entrepreneurship-Sicht heißt das auch, wenn man all das von vornherein bedenkt, muss man später weniger ändern.

Nadine: Selbst wenn Unternehmen von Anfang an nachhaltig sind, können irgendwann die Investor:innen kommen und drehen den Geldhahn zu. Mit nachhaltiger Mode verdient man nicht das große Geld. Dass wir in einem kapitalistischen System agieren, ist gerade das Traurige.

Große Unternehmen müssten also neu starten und die Chance, dass das passiert, ist relativ gering. Bei euch geht es ja aber nicht nur um Unternehmen. Ihr habt einen holistischen Ansatz, der auch Konsument:innen einbezieht. Welche Rolle spielen die bei einer Fashion Revolution?

Nadine: Eine ganz wichtige. Konsument:innen sind nicht die, die die Modeszene verändern sollten, diese Verantwortung liegt woanders. Trotzdem sollte man sich fragen: Was ziehe ich da eigentlich an? Wie wird es produziert und tut mir das gut? Weiterbildung ist ein ganz wichtiger Ansatz in unserer Arbeit und in Zukunft soll es auch Workshops für Konsument:innen geben, die vor allem ansprechen, wie man behutsam mit Kleidung umgeht. Heute wird einfach weggeschmissen und neu gekauft.

Sabinna: Für eine Fashion Revolution müssen wir Menschen das Empowerment geben, Fragen zu stellen und dafür braucht es Aufklärung. Dann kann man auch mehr Regeln und Transparenz fordern. Trotzdem liegt die größere Verantwortung immer auf Seiten der Politik und der Unternehmen. Aber Politik macht einfach nicht genug, um die Modebranche nachhaltig zu gestalten.

Dabei ist Mode politisch. Das heißt, wir brauchen Politik, die Gesetze schafft und Praktiken, die manche Sachen einfach verbieten.

Österreich und die Tabakindustrie sind hier ein gutes Beispiel: Die Menschen hören nicht auf zu rauchen, auch wenn sie wissen, dass es schädlich ist. Erst neue Regulierungen, wie das Rauchverbot in Innenräumen, haben dazu geführt, dass Menschen insgesamt weniger rauchen. So sind wir nun mal gestrickt, aber es ist nicht unsere Verantwortung. Unsere Verantwortung ist es, auf Missstände hinzuweisen und zu fordern. Die Macht aber hat die Politik.

Unsere Verantwortung als Konsument:innen ist es, auf Missstände hinzuweisen und Verbesserungen zu fordern. Die Macht aber hat die Politik.

Sabinna Rachimova

Einige eurer Kampagnen verbinden Forderungen von Konsument:innen an die Politik. Vom 22.04.-29.04.2023 findet in diesem Jahr die Fashion Revolution Week statt. Was habt ihr geplant?

Die Fashion Revolution Week findet jedes Jahr in der Woche um den 24. April statt. Dieses Datum ist der Jahrestag des Einsturzes von Rana Plaza 2013.
Rana Plaza, ein Gebäude in Bangladesch, beherbergte eine Reihe von Bekleidungsfabriken, in denen rund 5.000 Menschen beschäftigt waren. Die Menschen in diesem Gebäude stellten Bekleidung für viele der weltweit größten Modemarken her. Bei dem Einsturz starben mehr als 1.100 Menschen – zumeist junge Frauen – und weitere 2.500 wurden verletzt, womit es sich um die viertgrößte Industriekatastrophe der Geschichte handelt. (Quelle: Fashion Revolution Germany)

Nadine: Die #whomademyclothes Kampagne jährt sich dieses Jahr zum zehnten Mal und da kann jede:r mitmachen. Während der Fashion Revolution Week geht es bei uns um das Manifesto von Fashion Revolution, aber auch großartige österreichische Designer:innen und Unternehmen, die wir featuren werden.  Wir wollen Kooperation vorantreiben, um zum einen Konsument:innen coole Labels vorzustellen, aber auch, um Designer:innen zu verbinden und zu zeigen, wer wo was herstellt. Es wird Kleidertauschparties, Green Fashion Walks und Diskussionen geben…das wird eine richtig coole Woche!

Sabinna: Gleichzeitig läuft gerade die Good Clothes, Fair Pay Kampagne. Hier geht es darum, dass Menschen im Bekleidungssektor besser bezahlt werden. Es braucht eine Million Unterschriften, um die Gesetzgebung voranzutreiben und man kann in zwei Minuten unterschreiben.

Wie kann man euch sonst unterstützen?

Sabinna: Allen davon erzählen. Sharing is caring. Der erste Schritt Richtung Fashion Revolution ist, dass wir an unseren Tischen daheim oder im Café beginnen, Gespräche zu führen, die das Thema aufgreifen und diese Awareness schüren. Generell bleiben wir alle eher schüchtern und in unseren Bubbles. Lasst uns die Bubbles aufbrechen und das Narrativ in Österreich verändern.

Nadine: Das ist das perfekte Schlusswort: Lasst uns Bubbles aufbrechen!

Mehr zu Fashion Revolution Austria:

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