Vom Bankkonto bis zum Supermarkt scheint die Welt, zumindest teilweise, grün und klimaschonend. Doch wer meint es ernst und wer nicht? Im Gespräch mit Sandra Gottschall, Senior Consultant und Projektleitung für Nachhaltigkeit & Carbon Footprint beim Beratungsunternehmen ConPlusUltra, wollte Oliver Schnetzer wissen, was aktuellen Trends und Gesetze für Konsument:innen, aber auch Unternehmen bedeuten – und welche Risiken und Nebenwirkungen sich vor allem für letztere durch Greenwashing ergeben. Es wird sich schon bald einiges verändern!
Grüne Flugreisen, klimaneutrale Autos und nachhaltige Kreuzfahrten in die Antarktis: Mit der Sommerzeit laufen die Marketing-Abteilungen der Reisebranche wieder heiß. For future und sowieso für kommende Generationen, so die Slogans, denn Nachhaltigkeit verkauft sich bekanntlich besser denn je.
Hurtigruten verzichtet z. B. auf ihren Schiffreisen nicht nur auf Plastik (denn „Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt dessen, wer wir sind und was wir tun“) – die Reisenden werden zudem von „Inspirierende(n) Umweltbotschaftern“ begleitet, „die das Bewusstsein für verschiedene Aspekte des Umweltschutzes schärfen – etwa den Klimawandel“. Bleibt nur zu hoffen, dass die Schornsteine der Schweröl-Dampfer nicht zu laut rumoren, während man die dahinschmelzenden Eisregionen unseres Planeten vom Sonnendeck aus bestaunt.
Doch ich drifte ab. Das Thema Greenwashing ist ein emotionales für mich. Mehr als 8 Millionen Menschen, von jung bis alt, sterben jedes Jahr (!) durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Öl, Gas oder Kohle an den Folgen von Luftverschmutzung. Wie kann es sein, dass die Kreuzfahrt als eine der umweltschädlichsten Reisevarianten überhaupt ihre Passagiere so offenkundig an der Nase herumführt und damit (monetäre) Kohle scheffeln darf? Wieso gibt es hier keine strengeren Regeln?
Ok, der Umweltbotschafter muss erst geboren werden, der mir neben einem schwarz rauchenden Schlot die Nachhaltigkeit von Kreuzfahrtschiffen schmackhaft macht. Doch tatsächlich wird es auch im Alltag immer schwieriger, den Überblick zu bewahren, wo die Grenzen zwischen Greenwashing und tatsächlichen Klimaambitionen verlaufen. Vom Bankkonto bis zum Supermarkt scheint die Welt, zumindest teilweise, grün und klimaschonend. Doch wer meint es ernst und wer nicht? Im Gespräch mit Unternehmensberaterin und Nachhaltigkeitsexpertin Sandra Gottschall wollte ich wissen, was aktuellen Trends und Gesetze für Konsument:innen, aber auch Unternehmen bedeuten – und welche Risiken und Nebenwirkungen sich vor allem für letztere durch Greenwashing ergeben. Es wird sich schon bald einiges verändern!
EU-Parlament: neue Spielregeln gegen Greenwashing präsentiert
Beinahe zeitgleich zu unserem Gespräch hat das EU-Parlament im Mai 2023 einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der mitunter Unternehmen verbietet, mit dem Begriff „klimaneutral“ zu werben, wenn sie keine detaillierten und überprüfbaren Klimaschutzpläne vorweisen können. Tatsächlich findet sich der Begriff „klimaneutral“ inflationär in der Werbung wieder – und das ist ein Problem, da er in die Irre führt. So bedeutet „klimaneutral“ keinesfalls, dass ein Produkt in der Produktion keine Klimaschäden verursacht. Es werden schlichtweg Zertifikate zum Ausgleich gekauft. Diese Emissionsausgleichsysteme sind jedoch oftmals (noch) unreguliert und intransparent, wie die ZEIT in Kooperation mit dem Guardian berichtete. Die Preise von diesen freiwilligen CO2-Zertifikaten variieren von 1 bis hin zu mehreren hundert Euro.
Der Vorstoß des EU-Parlaments ist daher nicht zu unterschätzen und sehr zu begrüßen. Es ist höchste Zeit. Google beispielsweise posaunt bereits seit Jahren, dass der Konzern ab 2030, also bereits in knapp 7 Jahren, sein „Netto-Null-Ziel“ erreichen und somit dem Klima nicht mehr schaden möchte. Amazon nennt 2040 als Ziel, ThyssenKrupp 2050. Klingt doch gut, doch was steckt dahinter? Um die Konsument:innen nicht länger an der Nase herumführen zu können, sollen solche Ankündigungen in Zukunft einen konkreten Zielpfad und eine unabhängige Überwachung von außerhalb verpflichtend nach sich ziehen. Es muss klar erkennbar sein, wie Klimaschutz intern umgesetzt wird, wenn dieser nach Außen verkauft wird.
Warum das wichtig ist, zeigt ein Bericht der Kölner Denkfabrik NewClimate Institute. Dieser nahm die Klimaziele von 25 internationalen Unternehmen – darunter Apple oder auch Amazon – unter die Lupe. Vier von fünf der Unternehmen legten dabei keinen Plan offen, wie sie ihre angekündigten Klimaziele erreichen wollten. Einige klammerten bei der Berechnung der Emissionen ganze Bereiche der Wertschöpfungskette einfach aus, andere bezogen die Lieferketten erst gar nicht in den ökologischen Fußabdruck mit ein. Greenwashing deluxe.
Geht es nach dem Europäischen Parlament, soll solchen Marketing-Schmähs nun endlich der Riegel vorgeschoben werden. Neben der Klimaneutralität sollen auch andere beliebte Marketing-Begriffe wie „ökologisch“ oder „natürlich“, die aktuell tatschlich keine klare Definition innehaben, in Zukunft nicht länger ohne detaillierten Nachweis zum Einsatz kommen dürfen. Auch wenn der Gesetzesentwurf noch durch den Europäischen Rat muss, so steht schon jetzt fest, dass Firmen in Zukunft genauer auf ihr Marketing und vor allem auf ihre Produktion und die gesamte Lieferkette achten werden müssen. Ich bin schon gespannt, welchen Anstrich die Kreuzfahrt dann wählen wird, um die rußige Fassade zu übermalen.
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