Verena Kassar war eine der ersten, die gemeinsam mit ihrer Gründerkollegin die Unverpacktläden Das Gramm und Das Dekagramm in Österreich eröffnet hat. Mittlerweile leitet die Grazerin die Das Gramm Akademie und bildet Interessierte zu Zero Waste Coaches aus. Kurzum: Sie ist eine der österreichischen Pionierinnen der Zero Waste Bewegung. Ich habe mit ihr über das unverpackte Einkaufen, Bewusstseinsbildung und die Zukunft der Zero Waste Bewegung gesprochen.

Verena, du bist mit den Unverpacktläden Das Gramm und Das Dekagramm eine der Zero Waste Pionierinnen in Österreich. Wie hat alles gestartet?

Das war 2015, als ich auf der Suche nach meiner Traumfirma war und durch Zufall meine Gründerkollegin Sarah kennengelernt habe. Sie hat mir von ihrer Vision erzählt, in Graz unverpackt einkaufen zu können. Es gab zu der Zeit niemanden, der so ein Projekt übernommen oder sich selbst engagiert hat. Also haben wir gemeinsam entschlossen, einen Unverpacktladen zu eröffnen.

Original Unverpackt (Anm. d. Red. erster Unverpacktladen in Deutschland) und Lunzers Maßgreißlerei in Wien waren die großen Vorbilder und so ist alles step by step entstanden.

Einer der ersten Unverpacktläden in Österreich zu sein – das muss doch jede Menge Arbeit heißen? Ich denke hier an Lieferketten und Co., aber auch an das notwendige Umdenken der Konsument:innen.

Wir haben definitiv Pionierarbeit mitgeleistet. Es brauchte vor allem bei Produzent:innen und Lieferant:innen viel Bewusstseinsbildung. Eigentlich ging es um eine neue Form der Produktion und Lieferung, z.B. CO2-neutrale Lieferung mit Lastenrädern.

Um zu schauen, ob unverpacktes Einkaufen auf Seiten der Konsument:innen überhaupt gewollt war, haben wir 2016 eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Die war so erfolgreich, dass wir spätestens danach wussten: Wir setzen das um.

Der unverpackte Handel bringt viele Hürden mit sich und gerade der Lebensmittelbereich ist unheimlich arbeits- und konkurrenzintensiv, warum habt ihr euch trotzdem darauf fokussiert?

Aus zwei Gründen: Zum einen fand ich die Wiederbelebung einer klassischen Greißlerei auf modern, super spannend. Ich komme aus dem Shop-Design und alte Dinge neu zu gestalten, fasziniert mich.
Zum anderen sind Lebensmittel und Landwirtschaft essenziell, damit man gut versorgt ist. Die Landwirtschaft ist eins meiner Herzensthemen – ich bin damit aufgewachsen.

Die Zero Waste Bewegung bietet eine sehr einfache und freudvolle Möglichkeit, persönlich und aktiv etwas zum Klimaschutz beizutragen. Man braucht dafür kein Studium.

Verena Kassar

Gründerin Das Gramm und Das Dekagramm

Die Zero Waste Bewegung fängt beim Lebensmitteleinkauf an, geht aber mittlerweile weit darüber hinaus. Was fasziniert dich daran?

Die Zero Waste Bewegung bietet eine sehr einfache und freudvolle Möglichkeit, persönlich und aktiv etwas zum Klimaschutz beizutragen. Man braucht dafür kein Studium.

Zero Waste ist ein einfacher Einstieg in das Thema. Dass wir diesen Einstieg mit Das Gramm und Das Dekagramm bieten, war uns am Anfang gar nicht bewusst. Unter dem Begriff Zero Waste haben sich dann immer mehr Menschen gesammelt, die etwas verändern wollten.

Dabei wird der Zero Waste Bewegung immer wieder der Vorwurf gemacht, eine Einzelperson könne nichts bewegen. Wie stehst Du dazu?

Es ist doch nur ein Strohhalm, sagten 1000 Menschen. Den großen Hebel haben Gruppen oder Firmen, Unternehmen…Trotzdem hat jede:r die Möglichkeit, einen veganen Tag einzuarbeiten und dann die ganze Betriebsstätte anzustecken und so umzustellen. Trotzdem muss man bei sich selbst anfangen.
Wenn ich sehe, was ich allein in den letzten sieben Jahren erreicht habe, bin ich sicher, dass das jede:r kann und noch sicherer bin ich, dass das sehr große Auswirkungen hat.

Auswirkung hast du seit 2021 zusätzlich durch die Das Gramm Akademie, in der du Zero Waste Coaches ausbildest. Wenn prinzipiell jede:r bei der Zero Waste Bewegung mitmachen kann, warum braucht es eine Ausbildung?

Weil ich über die Jahre gemerkt habe, dass das Thema Bewusstseinsbildung essenziell ist.
Man muss wissen, warum man bestimmte Schritte machen muss. Ohne Hintergrund ist es schwer, das beizubehalten.

Der Zero Waste Coach ist eine intensivere Ausbildung, die acht Monate dauert.
In der Zeit wird ein großes Projekt entwickelt, an dem man selbst dranbleibt oder das man für die Firma nutzt, in der man arbeitet.

Neben dem Inhaltlichen liegt für mich ein großer Fokus auf der Persönlichkeitsentwicklung – das ist mir total wichtig.

Wir helfen den Teilnehmenden zum Beispiel ins Unternehmensgründungsprogramm zu wechseln oder beraten, wenn man sich selbständig machen möchte.
Für Bildung, Kurse und Workshops braucht es nämlich kein Gewerbe.

Das heißt, es geht beim Zero Waste Coach um eine berufliche Weiterentwicklung?

Manche Teilnehmer:innen werden für Unternehmen direkt zu uns geschickt und finden hinterher einen Job in der Nachhaltigkeitsabteilung, wechseln intern oder werden Nachhaltigkeitsbeauftragte. Gerade in den Klimaregionen gibt es so viele Projektmöglichkeiten – die sind auf der Suche nach Menschen mit dem nötigen Know-how und den Werkzeugen. Diese Tools bringen wir in der Ausbildung bei.

Viele kommen aber auch einfach aus persönlicher Motivation – oft überschneidet es sich auch oder aus persönlicher wird berufliche Motivation.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Wir hatten eine Teilnehmerin, die beim Infoabend gesagt hat, sie liebe ihren Job und wolle auf keinen Fall wechseln. Nach der Ausbildung hat sie ihren Job gekündigt, ist in ihrer Gemeinde KEM-Managerin und politisch aktiv geworden. Mittlerweile ist sie im Gemeinderat. Damit haben wir nicht gerechnet, aber das war wirklich faszinierend.

Das ist vielleicht auch mein Beitrag zum Klimaschutz: Meine Fähigkeit, Menschen zu vernetzen, zu netzwerken und Fähigkeiten aus anderen herauszufordern und herauszukitzeln.

Verena Kassar

Gründerin Das Gramm und Das Dekagramm

Mit deiner Arbeit, deinem Engagement und der Akademie, befähigst Du Menschen, andere Menschen zu befähigen. Was treibt dich an?

Ich finde es total schön, wenn man Menschen begleiten kann, ihr Potenzial zu finden und das mit voller Freude zu leben. Man entscheidet sich bewusst oder mit einem gewissen Vorwissen zum Zero Waste Coach – in der Ausbildung geht es auch darum herauszufinden, worin ich richtig gut bin oder wo ich meinen Beitrag individuell leisten kann. Es motiviert mich total, ist für mich Freude und Bereicherung, diesen kompletten Wandel zu beobachten. Das ist vielleicht auch mein Beitrag zum Klimaschutz: Meine Fähigkeit, Menschen zu vernetzen, zu netzwerken und Fähigkeiten aus anderen herauszufordern und herauszukitzeln.

Wo siehst du die Zero Waste Bewegung in 5 Jahren?

Mit dem Begriff Zero Waste tue ich mich mittlerweile schwer. Wir selbst, in unserem Team von 20 Leuten, haben Zero Waste als Begriff mit Ressourcenschonung oder Beitrag zum Klimaschutz ersetzt. Denn er bedeutet einfach viel, viel mehr. Wenn man Zero Waste hört, also den Begriff allein, geht es nur um Müll, aber er beinhaltet etwas viel Größeres.
Entweder wird Zero Waste in fünf Jahren wieder ein Nischenbegriff sein, der genau bedeutet, was er besagt, oder es ist ein Begriff, der einen großen Bereich, wie Kreislaufwirtschaft, beschreibt. Die Community, um welche Bedeutung des Begriffs auch immer, wird bestehen und wachsen.

Danke für das Gespräch.

Infos zur Das Gramm Akademie:

@dasgrammakademie

Ausbildung zum Zero Waste Coach:

akademie.dasgramm.at/zero-waste-coach/

Der nächste Ausbildungslehrgang startet am 08.09.2023

Sommerakademie
10.-15.07.2023 Ausbildung zum Klimaschutz Coach

Intensivlehrgang in Graz