Laut einer europaweit durchgeführten Studie sehen 55 Prozent der unter 35-Jährigen im Klimawandel eine der größten Bedrohungen der Zukunft. 75 Prozent sagen, dass unsere Konsumgewohnheiten dem Klimaschutz zuwiderlaufen – und fordern ein anderes Wirtschaftssystem. Einer der Auftraggeber der Studie war Südwind, eine österreichische NGO für nachhaltige Entwicklung. Ihr Geschäftsführer Konrad Rehling sieht in den Ergebnissen eine klare Handlungsaufforderung an die Politik, endlich für zukunftstaugliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Die Fragen stellte Tom Rottenberg.
Schön, dass wir über Klimagerechtigkeit aus der Sicht ihrer Organisation reden können, Herr Rehling. Südwind kennt man als entwicklungspolitische Organisation: Was hat das mit Klimaschutz zu tun?
Konrad Rehling: Wir beschäftigen uns seit 40 Jahren mit den Themen soziale Gerechtigkeit, Frieden, Entwicklungspolitik und bringen globale Zusammenhänge nach Österreich. Das bedeutete über Jahrzehnte vor allem über fairen Handel zu sprechen, über globale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, aber auch über globale Ungerechtigkeit zu sprechen. In den vergangenen Jahren haben wir uns auch damit beschäftigt, was der Klimawandel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat – das betrifft auch Migration und Flucht. Wichtig ist es, die Zusammenhänge zu sehen: Man kann Klimapolitik, Klimawandel und Klimakrise nicht von einer sozialen Krise trennen.
Südwind hat Ende April eine Studie publiziert, die besagt, dass Klimaschutz für junge Menschen ein wichtiges, zentrales Anliegen ist.
Wir haben diese Studie im Rahmen einer von der EU geförderten Bewusstseinsbildungskampagne durchgeführt. Diese Studie ist eine der Grundlagen für unsere politische Arbeit. Gemeinsam mit Partnerorganisationen haben wir in 23 Ländern mehr als 20.000 Jugendliche befragt, allein Österreich mehr als 1.000 – also tatsächlich repräsentativ. Die Antworten bestätigen, was wir im Zuge unserer Arbeit auch erfahren, aber sie wären ermutigend für politische Entscheidungsträger endlich ins Handeln zu kommen.
Was steht denn drin?
Mehr als die Hälfte, 55 Prozent, der jungen Menschen in Österreich sagen, dass der Klimawandel, die Klimakrise, eine der größten oder die größte Bedrohung für die nächsten Generationen ist. Mehr als 45 Prozent sagen, die Umweltverschmutzung ist die größte Bedrohung für die Menschheit. Interessant ist, dass für junge Menschen das Thema Migration und Flucht viel weniger relevant ist. Die Jungen sagen zu zwei Dritteln, dass das Wirtschaftssystem, die Industrie, die Wirtschaft und die politischen Rahmenbedingungen schuld sind an der Klimakrise. Und: Vier von fünf Jungen sagen, dass sie Politiker gewählt haben oder wählen würden, die sich klar für den Klimaschutz einsetzen.
Weil in unserer Arbeit Migration ein wichtiges Thema ist, ist es eine ganz große Erkenntnis, dass die 15 bis 35-Jährigen keine Angst vor Migration haben. Dass sie erkennen, dass es eine gigantische globale Ungerechtigkeit gibt und befürworten, dass klimabedingte Migration auch nach Österreich möglich sein soll. Also nicht Grenzen zusperren und abschotten: Die Klimakrise macht auch nicht vor den Grenzen halt.
Bleiben wir beim Wirtschaftssystem. Gibt es einen Konnex zwischen eigenen Konsumgewohnheiten und Klimawandel?
Ja. Drei Viertel sagen, dass unsere heutigen Konsumgewohnheiten nicht vereinbar sind mit der Bewältigung der Klimakrise. Sie sagen, dass unsere Konsumgewohnheiten nicht nachhaltig sind: Etwa Fast Fashion oder konventionelle Billigpreisartikel im Supermarkt – all das schadet der Umwelt. Der Hintergrund ist komplexer: Diese Gewohnheiten sind Folgen des derzeitigen Wirtschaftssystems, das überbordenden, übermäßigen Konsum fördert.
Die Politik sagt oft, es gelte wegen Corona nun zuerst, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Erst dann käme Umwelt. Stehen das die Jungen auch so?
Jugendliche verstehen, dass ein Sowohl-als-auch geschehen muss. In diesem Sinne müssen genau mit diesem Wiederankurbeln der Wirtschaft Investitionen in Nachhaltigkeit und gegen die Klimakrise einhergehen. Etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien. Das bedeutet einen Umbau des Wirtschaftssystems – etwa durch eine ökosoziale Steuerreform. Was man aus diesen Antworten auch klar herauslesen kann, ist die Forderung nach einem Umbau der Weltwirtschaft.
Wir formulieren es technisch und sprechen von einer „Demokratisierung der Weltwirtschaft“: Faire Wirtschaftsbedingungen. Das bedeutet auch: In Zukunft müssen die Bedürfnisse junger Menschen im Fokus stehen. Wir müssen Gesellschaft, Soziales und Umwelt ganz klar vor die Interessen von Konzernen stellen.
Die Jugendlichen sagen also, das Wirtschaftssystem ist ungerecht. Sie sagen es sei Aufgabe der Politik, zu agieren. Umgekehrt sind es doch gerade junge Konsumenten, die Billigmode von zweifelhafter Herkunft kaufen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Wir sehen in unserer Arbeit und in der Studie, dass ein Sowohl-als-Auch gefordert ist. Es hat bisher nichts geholfen und wird auch weiter nichts helfen, wenn jede*r die Schuld auf die anderen schiebt: Bevor ich mich ändere, muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen. Die Wirtschaft sagt, bevor wir an der Preisschraube drehen, müssen die Konsumenten sich ändern – denn die fordern die billigsten Preise. Und die Politik sagt: Ich mache, was meine Wähler*innen wollen. Da können wir lange diskutieren. Aber: Ändern müssen wir alle was.
Es ist ein klares Zeichen von Solidarität, wenn 75 Prozent erkennen, dass unsere Konsumgewohnheiten den Kampf gegen die Klimakrise und auch gegen die globale soziale Krise konterkarieren. Die sind auch bereit, etwas zu ändern. Die Frage ist nur: Was bedingt was? Ich als Konsument*in kann natürlich durch meine Kaufentscheidung etwas bewegen. Und das bewegt tatsächlich etwas, weil sich Konzerne ein bisserl danach drehen. Aber das ist nur ein Hebel von vielen: Der größte Hebel sind politische Rahmenbedingungen.
Rahmenbedingungen, die gesetzlich verankert verbindlich bewirken, dass sich die Wirtschaft ändern muss. Es gibt ja auch viele gute Beispiele. Konzerne ebenso wie Klein- oder Mittelbetriebe, die mit gutem Beispiel voran gehen. Was man da allerdings erkennen muss ist, dass die das auf eigenes Risiko machen. Nischen gefunden haben. Dass sie Konsument*innen ansprechen, die bewusst einkaufen wollen und sich in dieser Nische bewegen. Am Weltmarkt haben die aber einen Nachteil gegenüber der Konkurrenz.
Doch wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen für alle gleich sind, wenn es gelingt die Wirtschaft im positiven Sinne zu regulieren, wird das wesentlich auch zur Lösung der Klimakrise beitragen.
Zurück zum Konsumverhalten. Wurde abgefragt, ob die Jungen bereit sind, selbst Opfer, Verhaltensänderungen, einzubringen?
Wenn drei Viertel sagen, dass ihre Konsumgewohnheiten nicht dazu beitragen die Klimakrise zu bewältigen, wenn jeder Zweite sagt, ich muss meine Konsumgewohnheiten ändern, dann kann ich rauslesen, dass das Bewusstsein wahnsinnig groß ist. Auch die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten: Mehr öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, eben Gewohnheiten zu ändern – das möchten junge Menschen tatsächlich in die Hand nehmen.
Viele tun es ja auch schon: das Bewusstsein ist da. Man kann da viel Mut zur Veränderung rauslesen – aber gleichzeitig auch den Auftrag an die Entscheidungsträger, Rahmenbedingungen zu schaffen.
Was man erkennen kann ist, dass dieser Mut etwas zu verändern, für die Politik ein starkes, positives Signal sein kann.
Gibt es Unterschiede zwischen dem, was junge Menschen in Österreich und in anderen Ländern sagen?
Wir erkennen, dass junge Menschen in Österreich mehr Awareness haben, dass Klimakrise und Umweltverschmutzung die größten globalen Bedrohungen für die Zukunft darstellen. Das ist signifikant höher als im Schnitt der 23 befragten Länder. Gleichzeitig gibt es in Österreich weniger Angst, wirtschaftliche Krisen im eigenen Land bewältigen zu müssen – etwa bei der Sorge um den Arbeitsplatz: das sticht in Österreich weniger stark hervor als anderswo. Über alle Länder hinweg kann man sagen, dass Migration bei jungen Menschen viel weniger im Vordergrund steht als in der Tagespolitik.
Woher kommt diese Diskrepanz? Was die Jungen denken, kommt in vielen Bereichen der Politik nicht an oder vor: Haben Sie falsch gefragt, oder ist die Politik taub und blind?
Meine Erklärung ist die, dass junge Menschen stark in der Zukunft denken. Das sind die, die von den Veränderungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weit stärker betroffen sind, als die ältere Generation – auch wenn sich die teils schon einsetzt: „Omas gegen Rechts“ oder ältere Leute, die für ihre Kinder und Enkelkinder kämpfen. Trotzdem ist es so, dass junge Menschen mehr in der Zukunft denken. Das ist schon auch problematisch: Wir müssen Demokratie so verstehen, dass gleiche Chancen für alle vorherrschen. Doch das derzeitige politische System forciert das Denken in Legislatur- und Wahlkampfperioden. Da geht es um schnelle Erfolge – die „low hanging fruits“ – darum, wieder gewählt zu werden.
Was da in den Hintergrund tritt ist das langfristige Denken. Aber das brauchen wir bei der Bewältigung der Klimakrise. Was ich mir wünschen würde von der Politik und vielen Wirtschaftstreibenden ist ein „von der Zukunft her führen“: Dass man sich ins Jahr 2040 versetzt und von dort aus überlegt, was wir dafür schon heute brauchen.
Die Bundesregierung hat das Ziel der Klimaneutralität für 2040 in Österreich festgelegt. Aber was muss sonst geschehen, damit wir 2040 menschenwürdig leben können? Und dass 2040 auch so gestaltet ist, dass das im Jahr 2100 noch geht?
Ein ganz konkretes Beispiel für dieses Denken wäre in Wien die “Stadtstraße Aspern“: bei derartigen Projekten müsste man sich nur die Frage stellen, ob man so eine Straße in 20 oder 25 Jahren wohl noch brauchen wird.
Letzte Frage: Sind Sie ein Optimist, der glaubt, dass solche Studienergebnisse zu einem Umdenken und Verbesserung führen – oder sind Sie Pessimist, der zwar warnt, aber selbst nicht mehr an diese Veränderung glaubt?
Ich bin Optimist. In dieser Krise steckt eine gigantische Chance, da bringt Pessimismus nichts. Gerade diese Krise hat so viele positive Bewegungen hervorgebracht. „Fridays for Future“ hatte einen gigantischen Schneeballeffekt, der um den Erdball geht. Millionen Junge, unterstützt von Alten, quer durch die Schichten, fordern die Bewältigung der Klimakrise radikal ein. Das ist wichtig – es gibt deshalb etliche politische Initiativen, die schon am Weg sind. Das zu begleiten ist auch Kern der Arbeit von Südwind.
Etwa wenn wir Initiativen begleiten, die – um ein konkretes Projekt anzusprechen – ein „Lieferkettengesetz“ fordern. Vieles von dem, was ich in diesem Interview erwähnt habe, eben die Demokratisierung der Wirtschaft, kann durch einen politischen Mechanismus wie ein Lieferkettengesetz ganz einfach gelöst werden: Wir stellen Menschenrechte und Umweltschutz in den Vordergrund und es gibt die Möglichkeit von Betroffenen zu klagen, einzufordern, Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit zu wandeln. Da gibt es dann ganz viele Möglichkeiten – und an denen müssen wir gemeinsam dranbleiben.
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